Reines Weiß ist Einbildung

Eben gab es bei Facebook wieder einmal eine dieser unseligen Haptik-Diskussionen innerhalb der Buchbranche. Sie ist in etwa so sinnführend wie der pseudoreligiöse Krieg zwischen Apple- und Microsoftjüngern. Und überrascht mich von einem anderen Aspekt her: Viele, die bei Büchern auf "volle Haptik" setzen, merken gar nicht, wie lausig Print oft produziert wird - oder wie Qualität wirklich aussehen könnte. Zugegeben, ich beschäftige mich auch erst so intensiv damit, seit ich das Papier von Büchern für die Schmuckverarbeitung erst einmal "aufbrechen" muss. Inzwischen sortiere ich Verlage nicht mehr nach ihren Inhalten, sondern nach den chemischen Eigenschaften ihrer Printbücher!

Aus meinem Musterheft fürs Atelier Tetebrec: Papierproben aus Büchern von 1900 bis 2002
Ich hatte im vergangenen Jahr eine Kundin, die ein Collier in Maßanfertigung bestellte. Weiß sollte es sein, mit weißen Perlen. In der Beratung gab ich zu bedenken, dass Buchseiten nie rein weiß seien. Weiß mit Blaustich, das Laien als wirkliches Weiß empfinden, wird fast nur noch für Foto- und Kunstdruck verwendet. Und diese Papiere eignen sich nicht für die Schmuckherstellung: zu viel Sonderlackierungen oder Harze. Das herkömmliche Belletristikpapier dagegen hat meist einen Gelbstich, denn das ist augenfreundlicher in den Kontrasten zur Schrift. Darum kann ich dazu auch nicht automatisch reinweiße Perlchen kombinieren. Zwei unpassende Weißtöne nebeneinander - das beißt sich ganz hässlich!

In meinem Musterbuch sammle ich alle möglichen Papierproben, Papiergarne, Farbproben. Die sogenannten Haptiker hätten ihre Freude daran! Denn tatsächlich schaue ich mir die Proben nicht nur an, sondern muss auch herumfühlen, streicheln, knicken, um je nach Projekt genau die passende Papierstärke und -oberfläche zu finden.

Gerade Buchpapiere erzählen viel von der Geschichte des Buchdrucks. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sind sie viel zu säurehaltig und reagieren oft unvorhersehbar. Meine Lieblingspapiere stammen vom Ende des 19. / Anfang des 20. Jhdts - sie lassen sich wunderbar verarbeiten, nehmen alle Flüssigkeiten in idealer Weise auf und sind fein genug, um sich nicht aufzuwerfen oder harte, unschöne Kanten zu bilden. Papiere aus sogenannten Premiumtaschenbüchern sind das genaue Gegenteil: hässlich, plump. Dieses "aufgepumpte" Papier verwandelt sich in nassem Zustand allzu schnell in hässlich verfärbten Matsch. Für extreme Klunker, die man dann sogar mit der Maschine schleifen muss, ist es gerade noch geeignet.

Buchpapier aus der Wegwerfkiste erzählt mir noch eine andere Geschichte: All die vielgelobte Haptik wird immer seltener für eine mögliche "Ewigkeit" hergestellt. Gerade Taschenbücher kommen mit einem eingebauten Verfallsdatum auf die Welt, das immer kürzer zu werden scheint. Nicht nur, dass sich die Leime zersetzen oder brechen - das Papier selbst vergilbt in einer Schnelligkeit, die früher undenkbar war, zersetzt sich auch, wird brüchig.

So kommt es, dass ein Taschenbuch von Rowohlt aus der Mitte der 1990er etwa genauso vergilbt ist wie ein Larousse von 1923. Taschenbücher von Heyne sehen schon nach zehn Jahren richtig alt aus und entwickeln diese für alte Bücher typischen Randverfärbungen. Und ein erst fünf Jahre altes Suhrkamp-Taschenbuch kommt daher wie ein Larousse aus den 1970ern.

Bis so ein Buchpapier zur gegen Feuchtigkeit versiegelten Perle geworden ist, dunkelt es noch einmal einen Ton nach. Wenn jemand dazu "weiße" Perlchen wünscht, muss ich genauestens wählen: aus Rocailles in Porzellanweiß oder Elfenbeinfarben, in Perlmuttfarben mit Apricot-Stich oder dem Weiß gelblicher Zähne. Und wie es mein Musterbuch zeigt: Papier, das in unseren Augen einigermaßen "rein weiß" wirkt, habe ich bisher nur in Frankreich gefunden (li. oben im Bild, ein Larousse-Wörterbuch von 1992).

Aber Farbe ist nicht alles! Wie gesagt, so ein Papier reagiert, fühlt sich dabei fast an wie ein lebendiges Wesen - es reagiert auf Leim, auf Lack, auf Farben, auf Vergoldungen oder Metallpulver, Temperatur und Luftfeuchtigkeit. Dafür muss ich ein Gespür entwickeln. Ich kann es oft nur intuitiv sagen: Neben sehr alten Papieren arbeite ich am liebsten mit älteren Heyne-Taschenbüchern für sehr feine Perlen und mit Büchern von btb für massive Schmuckstücke, die sich vergolden lassen.

Und manchmal fluche ich schon, wenn ich etwas zusammenleime. Weil es stinkt wie die Pest, weil es sich absolut eklig anfühlt. Ab in den Mülleimer! Denn dann weiß ich: Hoppla, mal wieder billigst in China produziert. Da nimmt man es nicht so streng mit der Chemie im Papier oder der Druckerschwärze. Ein Grund übrigens, warum ich nicht wie so viele mit kostenlosen Anzeigenblättchen und Prospekten arbeite - sie sind meist voller Gift, vor allem bei den Farben. Meist können das Laien schon beim Aufblättern riechen. Ich will, dass meine KundInnen nur das Beste tragen. Für meinen Schmuck habe ich mir selbst hohe Standards gesetzt. Ich habe aber auch keine Lust, mich selbst zu vergiften, weil ich ständig im Hautkontakt mit den Materialien bin.

Mit der Haptik ist das so eine Sache. Im Atelier Tetebrec veredle ich auch Papierfetzen, die in Buchform einfach nur lausig daherkommen. Es ist tatsächlich so: Mancher E-Reader hat eine bessere Haptik als manches zu billig gemachte Taschenbuch. Aber darum geht es eben gar nicht. Vielleicht begreifen die hehren Entweder-Oder-Streiter in der Buchbranche irgendwann, dass beides eine Berechtigung hat, dass man aber dann auch beides qualitativ gut herstellen muss. Ich selbst bin froh, dass ich mich aus dieser Diskussion ausgeklinkt habe, denn meine Papierperlen dürfen die gesamte Skala von Sinneseindrücken wiederspiegeln. Sie leuchten in Aquarellfarben oder haben vergoldete Kanten, sie kommen im einfachen Understatement pur daher oder umschmeicheln farbigen Karton. Buchpapier trifft auf Papiergarn. Und Papierperlen wählen sich ihre "Partner" je nach Anlass: von der unbehandelten Holzperle zum holzfreien Papier bis hin zu wertvollen Swarovski-Kristallen zu historischem Papier, von handgeschnitzten Knochenperlen über Glaskunst aus Tschechien, Venedig oder Japan bis hin zu Süßwasserperlen - alles ist möglich, denn ich lege mir keine Denkgrenzen auf.

Zwei Shops habe ich:

Deutschsprachig bei Dawanda
Englischsprachig bei Etsy (auf Englisch stellen, alles andere sind Maschinenübersetzungen)
Meine Website

Der Shop bei Etsy muss noch tüchtig aufgefüllt werden, dafür erfährt man dort ein wenig über mein Atelier. Maßanfertigungen gibt es direkt bei mir.

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