Sag mir, was du liest

Auch auf die Gefahr hin, nie wieder irgendwo eingeladen zu werden, frage ich mal. Hat noch jemand außer mir den Fimmel, in einer fremden Wohnung zuerst die Buchrücken zu untersuchen? Sofern überhaupt welche da sind. Manche Leute schockieren mich mit blank gewischten Regalen, auf denen eine Designervase steht. Gut - auf die schaue ich natürlich auch. Denn mindestens so aufschlussreich wie Bücher ist das Vorhandensein von Blumen, Pflanzen oder Bildern an der Wand. Hat ein Mensch nichts von alledem in der Wohnung, teilen wir womöglich nur wenige Interessen - das lehrt die Erfahrung. Umgekehrt werden Menschen, die nicht lesen, an mir keine Freude haben.

Sag mir, was du liest und ich sage dir, wer du bist. Aus der Art der Bibliothek und ihren Inhalten kann man angeblich Rückschlüsse auf sein Gegenüber ziehen. Da fällt mir ein polnischer Witz ein, der ungefähr so geht:
"Du kommst in eine riesige Villa, in der es nur ein Buch gibt. Wer wohnt darin?" - "Keine Ahnung." - "Ein Neureicher von der Mafia." - "Aha." - "Du kommst in eine riesige Villa, in der es zwei Bücher gibt. Wer wohnt darin?" - "Weiß nicht." - "Ein verheirateter Neureicher von der Mafia." - "Und wieso?" - "Ist doch ganz einfach. Die Typen haben keine Kultur. Im ersten Fall liegt da ein Telefonbuch, reicht für Korruptionskontakte. Im zweiten Fall musste er die Familienbibel mitnehmen, die sie bei der Trauung überreichen."
Meine eigene Bibliothek ist ein lebendiges Tentakelwesen. Bücher in mehreren Schichten füllen einen ganzen Raum bis zur Decke und breiten sich in alle anderen Räume aus. Manche bekommen den Wandertrieb, die Bettlektüren zum Schlafzimmer, Wladimir Kaminer und Steffen Möller neuerdings aufs Örtchen. Aber kann man an meinen Büchern ablesen, wer ich bin? Mindestens fünf Mal so viel habe ich aus Bibliotheken oder von Freunden geliehen gelesen. Bücher, die ich verehre, besitze ich nicht, weil man sie gar nicht mehr kaufen kann. Da ist ein Fach voll von Mariologie, Esoterik und anderen Texten über Maria. Glaube ich an sie? Nein - das war Recherchematerial für ein Buch über Schwarze Madonnen. Lese ich Goethe, Schiller, Heine und Co., weil die so fett und breit im Regal hängen? Als Schülerin ja - das waren typische Verwandtengeschenke. Andere wunderbare Schriftsteller fehlen völlig - ihre vielen Hardcoverausgaben kann ich mir als Autorin schlicht nicht leisten. Klassiker lese ich auf CD-ROM, auch Lyrik.

Hoppla, genau! Da schwebt das Ungeheuer E-Book über uns. Zeig mir deinen Reader und ich sage dir, wer du bist? Wie soll ich künftig Küchenpsychologie betreiben können, wenn eines Tages wirklich nur noch die Designervase und das iPad im Regal liegen? Wie funktioniert Erstkonversation in der Zukunft?
"Du kommst in eine riesige Villa und auf dem iPad sind 2387 Bücher geladen. Wer wohnt darin?" - "Keine Ahnung". - "Ein Typ aus der Kommunikationsbranche." - "Aha." - "Du kommst in eine riesige Villa und auf dem Reader von Thalia sind 2387 Bücher von Weltbild gespeichert. Wer wohnt da?" - "Weiß nicht." - "Die geschiedene Frau von dem Typ aus der Kommunikationsbranche nach der Teilung." - "Aber was ist mit dem Typ von Mafia?" - "Der hat Google."
Verraten unsere "stofflichen" Bibliotheken wirklich, wer wir sind? Würde sich mein Charakter ändern, wenn ich Wladimir Kaminer vom Örtchen in die Küche tragen würde? Gibt es unter meinen Lesern womöglich sogar ganz hinterhältige, die extra bestimmte Bücher für den Besuch auf dem Tisch platzieren? Und wo, liebe Autorinnen und Autoren, stellt ihr eure eigenen Machwerke aus?

(inspiriert durch Wibke Ladwig)

9 Kommentare:

  1. hihi, das erinnert mich an eine episode aus jugend-und urlaubstagen. ich war mit meiner großmutter verreist und schnappte mir, aus purer verzweiflung, eins ihrer bücher: konsalik. meine eigenen hatte ich längst durch. mit dem konsalik sah mich dann eine dame am pool. diese dame besuchte mich einige wochen später und meinte, nach einem blick in mein deckenhohes bücherregal, sie müsse ihre ansicht über mich jetzt doch massiv überdenken! aaah ja! :)
    LG, marypoppins2608

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  2. Ich gehe noch einen Schritt weiter. Ich achte sogar in Filmen, ob die Leute Bücher in ihren Wohnungen/Häusern haben. - Bei mir könntest Du übrigens ziemlich lange Bücherrücken studieren (geschätzter Bestand >4000). ;-)

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  3. Ich bin ein Para-Paule.

    Ich hab Angst vor dem Urteil von Leuten wie Dir. Bei mir stehen nur ausgewählte Werke im Regal.... besonders krass: Teilweise wird die Auswahl auf den Besuch abgestimmt.

    Dafür liebe ich mein eBook-Lesegerät; Alles da, und keiner kanns sehen.

    Ja, ich mache schon eine Therapie.

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  4. In Ermangelung eines Raumes, den wir als Bibliothek nutzen könnten, stehen meine Bücher zweigeteilt, d.h. im Wohnzimmer und im Büro (wenn ich mal die Wandernden auf dem Örtchen und im Schlafzimmer außen vor lasse). Habe Deinen Blogpost zum Anlaß genommen, mal zu zählen. Sind aber (inkl. der Kochbücher) nur knapp 600, ich hätte die Zahl höher geschätzt. Ein geschätztes Drittel davon ist Englisch. Etwa 100 sind ungelesen - das ärgert mich am meisten, weil ich die alle dringend lesen will.

    Und ja, ich täusche Besucher gerne. Viele Klassiker und literarische Lieblinge stehen im Büro, wo sie niemand sieht, aber die Schundschmachtfetzen, Nackenbeißer und Erotiksachen sind absichtlich im Wohnzimmer untergebracht *gnihihi*.

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  5. Oha, ich bin eine Para-Paula! Ich lege mein neuestes Machwerk immer aufs Klo, weil dort irgendwann *alle* Gäste landen. An der Klotür hängt ein Plakat vom aktuellsten Auftritt ("das hab ich nur da aufgehängt, damit ihr die Klotür besser findet"). Danach: "Ja, die kann man kaufen, dann könnte ich mir vielleicht endlich ein Regal dafür..."

    Simone, du bist noch jung und hast große Räume vor dir. Ben, woher nimmt man die Muße, seine Bücher zu ZÄHLEN? Mary Poppins, das wäre mal einen Artikel wert: Zehn berühmte Schriftsteller gestehen ihre schlimmsten Lektüren...

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  6. Mir fällt auch eine Anekdote ein:
    Einst besuchte mich der Mann meiner damaligen Vermieterin, um etwas zu klären. Er meinte, ich müsse wohl Lehrerin sein, mit so viel Büchern ...jetzt stapeln sich die vom Antiquariat im Wohn-und Schlafzimmer, neben den Regalen. Die eigenen-huch, die hab ich gar nicht alle ausgestellt-früher schon. Zwei historische sind bei den historischen. Und das Ehepaar, das gestern auf einer Party eine Buchliste von mir haben wollte, bekommt"Die Nonne und die Hure", weil sie von Dan Brown und der "Wanderhure" sprachen. Das ham sie nun davon!:-)

    Christa

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  7. Haha, das ist dann Algorithmus-Marketing: Kunden, die unsere grüne Gartenharke gekauft haben, kauften auch grünen Salat ;-))) Muss ich mir merken...

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  8. Wohnungen, in denen keine Bücher herumstehen oder -liegen, machen mich hilflos. Kann mir doch kaum vorstellen, wie es sich ohne Bücher aushalten lässt. Ich liebe es, wenn ich das Gefühl habe, ich darf mich beim Betreten einer mir fremden Wohnung in den Bücherregalen nach bekannten oder noch unbekannten Büchern umsehen. Vertrauten Stoff in schönen Ausgaben entdecken. An der Abgelesenheit Lieblinge des Gastgebers enttarnen.

    Viel Platz für Bücher gibt es in meiner Wohnung leider nicht. Zweireihig gequetscht stehen sie im Bücherregal oder liegen in Stapeln, links der des Mannes, rechts meiner, beide in wechselnden Höhen.
    Ein- oder zweimal im Jahr ziehe ich dann alle Bücher aus dem Regal und aus den Stapeln und sortiere sie neu. Nach Thema, nach Autoren, von denen ich annehme, sie könnten sich verstehen oder sie verbindet ein gemeinsames Anliegen, Verlagen, nach schöner oder besonderer Ausstattung.
    Manch Klassiker, literarischer Liebling, Kunstbuch, Schmachtfetzen oder liebgewonnenes Popcornbuch steht mal in erster Reihe, mal hinten, manch jahrelang mitgeschlepptes ungelesene Buch findet vielleicht endlich Beachtung.
    Andere wandern in einen Lesekreislauf mit Freunden oder werden aussortiert und im Hausflur den Nachbarn zum Lesefraß ausgesetzt. Oder fliegen in den Papiermüll, wenn sie sich als Blödsinn und Papierverschwendung herausgestellt haben.

    Was anderen beim Durchsehen meiner Bücher durch den Kopf gehen mag?

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  9. Die Idee mit dem Lesefraß finde ich ganz ganz toll! Mangels deutsch lesender Nachbarn hatte ich schon einmal die Idee, Bücher einfach so liegen zu lassen, aber dann fürchtete ich, in Deutschland womöglich wegen illegalen Müllabladens mit Ordnungsgeldern belangt zu werden. ;-)

    Ich bekomme es absolut nicht übers Herz, Bücher wegzuwerfen, weil ich weiß, wie Autoren von Verlagen manchmal an die Altpapiermaschine verkauft werden ... Sowas spende ich kistenweise an Emmaus, die verdienen sich damit etwas Geld und für den schlimmsten Schmöker, den ich schrecklich fand, findet sich immer irgendwo ein Fan.

    Noch suche ich nach einer Klärung eines Rätsels: Für einen Karton verschenkter Bücher wachsen mindestens zwei neue nach...

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