Piraterie im großen Stil

So langsam fangen deutsche Bibliotheken und Archive an, Buchschätze einzuscannen und per Internet zugänglich zu machen. Ein Artikel über die Badische Landesbibliothek in Karlsruhe erzählt, wie das technisch vor sich geht und welche Schätze vergangener Zeiten man sich künftig ansehen kann. In anderen Ländern, etwa Frankreich oder den USA, sind frei zugängliche digitale Archive längst Usus - ein unschätzbarer Service für Rechercheure aller Art. Kaum einer weiß, dass z.B. in Frankreich Teile der nur dort existierenden Wohnsteuer für die Digitalisierung von Archiven verwendet wird. Dafür kann ich mir Exponate aus den wichtigsten Sammlungen auch dann ansehen, wenn sie im Museum gerade nicht ausgestellt sind, sondern im Keller lagern. Und in der Nationalbibliothek kann ich unzählige Papiere, Dokumente oder Bücher einlesen, um mir dann bei Bedarf per Mausklick und Kreditkarte Kopien zu bestellen - legal natürlich.

Zur gleichen Zeit diskutieren die Verleger der Neuzeit DRM (für Digital Rights Management) für E-Books. Eigentlich als Schutz vor Urheberrechtsverletzungen gedacht, sorgt DRM zunehmend für Unmut bei den LeserInnen. Man braucht dazu kompatible Geräte, kann ein E-Book nicht an Freunde verleihen und hat allerhand Hürden beim Einkaufen. Ich habe mir sagen lassen, DRM-geschützte Bücher seien für Blinde nicht zu lesen - sie sind offensichtlich nicht kompatibel mit deren Lesegeräten. Social oder "weiches" DRM - ein Wasserzeichen, das mit dem ursprünglichen Käufer identifiziert werden kann, wäre eine Abhilfe und ein Dienst am Leser. Dörte Böhner schreibt, wie deutsche Verlage sich auch weiter querstellen: "Wasserzeichen des Misstrauens".

Wundert es eigentlich noch jemanden, dass die Piraterie bei Büchern inzwischen im großen Stil betrieben wird? "Download-Piraten entern nun die Buchverlage" titelt die Welt und legt erschreckende Zahlen vor. Neben der Rechtsverluderung bei Jugendlichen, die sich einen Sport aus der Piraterie machen sollen, seien anscheinend vor allem "gelangweilte Bibliothekare in Uni-Bibliotheken" die Täter. Ist letzteres wahr, sollte sich die Buchbranche überlegen, womit sie ihrem großen Kunden den Anreiz zu kriminellen Taten gibt.

Wer sich die Kommentare zu diesem Artikel durchliest, wird schnell merken, dass manche Leute nicht mehr nur kein Unrechtsbewusstsein mehr haben, sie reden auch einer Art anarchischem Kommunismus das Wort, bei dem der Autor zum Profiteur abgestempelt wird, weil er als Buhmann der wissbegierigen Allgemeinheit seine Früchte vorbehält, indem er mit seiner Arbeit auch noch frech Geld verdienen will. Ich weiß nicht, wie man solche Menschen überhaupt zur Besinnung bringen könnte, Strafen würden sie in ihrem "hehren Tun" wohl eher noch anstacheln. Vielleicht müssten hungernde Autorenhorden solche Leute einfach auch beklauen, je nach Beruf, so dass am Ende des Monats nichts mehr übrig bleibt? Wer kriminell denkt, wird auch mit dem besten Kopierschutz der Welt kriminell bleiben. Ein Autodieb lässt sich von Alarmanlagen und Geldbußen auch nicht schrecken.

Viel mehr Sorgen bereitet mir die Grauzone: Die Anständigen, die zur Illegalität verführt werden. Verführt durch ein mangelndes Angebot an E-Books zu vernünftigen Preisen, durch technische Hürden in Sachen DRM, durch Schnellverramschung von wichtigen Büchern, durch technische Einkaufshürden.

Kleines Beispiel aus der eigenen Erfahrung: Ich muss mittlerweile fast alle Bücher für Recherchen (legal) im internationalen Antiquariat und im Ausland besorgen, selbst deutschsprachige Bücher sind dort oft schneller und billiger verfügbar (ZVAB gehört inzwischen ja auch Amazon). Nun brauchte ich dringend Nijinskys Tagebücher - die sind nicht nur Weltliteratur, sondern ein Standardwerk für die Forschung. Ausgerechnet dieses wichtige Werk hat Suhrkamp, der sonst kaum Bücher verkommen lässt, längst ausgemustert. Und weil es so rar geworden ist, sind antiquarische Exemplare nicht immer am Markt oder manchmal zu überhöhten Preisen. Als ich es dringend brauchte, gab es gerade kein Exemplar auf dem Markt.

Meine damalige Verlegerin besorgte mir ein Exemplar über einen Suhrkamp-Mitarbeiter, der wohl noch einmal den Keller aufräumte. Nicht jeder hat diese Verbindungen, die Möglichkeit oder auch nur die Lust, sich Bücher derart kompliziert zu beschaffen. Angenommen, die Tagebücher wären im Internet zu haben - einfach so. Kostenlos und unkompliziert. Auf einem russischen Server gibt es sogar das russische Original, das sonst kaum einer kennt. Wie viel Energie muss nun ein anständiger Mensch mit ausgeprägtem Rechtsbewusstsein aufbringen, um nicht einfach mit ein paar Klicks dieses Buch irgendwo einzulesen?

Ich habe mir übrigens zwischenzeitlich ein sehr preiswertes, gedrucktes Original-Exemplar kaufen können. Es kam aus England. Hätte Suhrkamp das Buch nicht verramscht und von mir aus per PoD-Verfahren vorgehalten, hätte ich dafür den doppelten Originalpreis bezahlt. Und ich weiß von einigen Autoren (auch Rückmeldungen per Twitter), dass LeserInnen mehr Bücher ganz legal erwerben, wenn es eine unkomplizierte (!) E-Book-Version eines Papierwerks gibt.

Apropos E-Book, eben legt der Börsenverein seine 30seitige E-Bookstudie 2011 als pdf vor: Download
Die Zahlen belegen im Großen und Ganzen, was ich hier ständig predige: Die Deutschen sind unwahrscheinlich konservativ, was Bücher betrifft; werden aber wohl umdenken, wenn die Macher umdenken. Dass hier nicht die Großkonzerne die Welt verändern, sondern kleinere, flexible Strukturen, dürfte auch Autoren nicht kalt lassen. Eine kluge Zusammenfassung nebst Kommentar gibt es bei Holger Ehling.

2 Kommentare:

  1. Um dem "anarchischen Kommunismus" das Wort zu reden:
    Warum stellt man sich in den Verlagen, aber auch bei den Autoren nicht einmal grundlegend die Frage nach dem geistigen Eigentum und seiner Bedeutung, warum klebt man hier noch immer am "ICH-habe-das-gemacht" wie eine Made am Speck. Diese ganzen - zumeist unreflektiert - dahinterliegenden Subjektvorstellungen, diese mehr als nur latente Genieästhetik, all das macht es uns doch nur unendlich viel schwerer. Warum bieten die Autoren und Verlage nicht einen Teil ihrer Literatur oder gleich alles frei kopierbar an? Mehr noch, warum schreiben Autoren noch immer abgeschlossene Werke? Warum keine Remixe wie in der Musik, warum keine offenen, weiterschreibbaren und zum aktiven Verändern einladenden Texte? Das würde sensibilisieren - für Literatur und Bücher an sich - und nicht für die nur allzu oft dahinter stehenden kommerziellen Interessen. Um nicht falsch verstanden zu werden: Ich bin sehr wohl der Meinung, dass man die Leistung eines Autors, Musikers oder Wissenschaftlers schätzen sollte und noch mehr glaube ich, dass Buchhändler und Buchläden nicht nur eine wichtige, sondern auch eine schöne Sache sind (vor allem die, die sich nicht dem Druck der großen Ketten beugen). Aber warum versuchen wir nicht Kunst und Kultur mal anders zu denken, nein, besser, sie anders zu produzieren, zu vertreiben und zu rezipieren? Ich habe z.B. gerade einen kleinen Prosa-Band gelesen (online). Das Buch heißt "Formenverfuger / Formenverfüger" und ist - in der gedruckten Version wie in der digitalen - mit einer Creative Comons Lizenz versehen, die das Kopieren nicht nur erlaubt, sondern - unter gewissen Bedingungen - sogar erwünscht.
    Überdies gibt es in dem Buch einen Text, den der Autor nur begonnen hat, nach zwei Seiten aber abbricht und sich mit folgenden Worten an den Leser wendet: "Genug gelesen. Schreib’ den Text selber weiter, verändere ihn, bau ihn an anderer Stelle ein, nimm ihn auseinander und montiere ihn neu, zerstöre ihn und lass ihn lebendig werden..."
    Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.

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  2. Marek, ich fürchte, du vermengst da zwei völlig verschiedene Paar Schuhe: Du redest von experimentellen Kunstformen (von denen noch nie jemand leben konnte), die es zu allen Zeiten gegeben hat - und wie du beobachtest, auch geben wird. Und die dann entweder ankommen oder untergehen, die man "mal" machen kann.

    Etwas völlig anderes ist die kreative Schöpfung und ARBEIT des Autors an sich, die man, da geistig, zwar nicht anfassen kann - die aber genauso Arbeit und Produkt ist wie des Bäckers Brötchen oder das Reparieren deines Autos - und von der wir Autoren ganz banal unsere Mieten, Strom- und Wasserrechnungen, das Essen u.v.m. bezahlen müssen und in vielen Fällen sogar noch eine Familie ernähren. Und vielleicht weißt du, wie sehr es trifft, wenn man mit unseren miesen Einkommen auch noch Geld verliert.

    Sag mir, was du beruflich machst und wie du in Zukunft gedenkst, auf dein Einkommen zugunsten der Allgemeinheit zu verzichten, um endlich diese zumeist unreflektierte Subjektvorstellung zu überwinden. Sag mir, wann du deine Arbeit endlich umsonst leistest, um dich von dieser überkommenen Arbeitsästhetik zu befreien. Warum lebst du - ich nehme an, mit Monatseinkommen - wie die Made im Speck?

    Oder komm her, hilf hier beim Holzhacken und ich schenke dir gern eine meiner Geschichten dafür. Und gib mir mal dein Handy, ich brauch grad ein Neues. Du wirst doch nicht etwa an Eigentum kleben?
    Fang doch gleich mal mit diesem Kommunismus an, vielleicht lasse ich mich überzeugen?

    Übrigens leiste ich die Recherche und die Arbeit an diesem Blog auch umsonst. Damit ich mir das weiter leisten kann, darfst du gern einen Buchgutschein spenden (s. rechts im Menu) - ist das alternativ genug?

    So. Und wenn ich überleben kann, sprechen wir über Kunstexperimente ... im Moment bin ich leider mit der Kostenrechnung für mein nächstes Buch beschäftigt.

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