Einem geschenkten Gaul...

Gestern habe ich ein pferdelanges Gesicht gemacht und gelernt: Einem geschenkten Gaul sollte man sofort ins Maul schauen! Ich hatte mich letztes Jahr so gefreut, als ich bei der Buchung für das Mariinski-Theater im Festspielhaus Baden-Baden mit meiner Karte zum Abreißen verbunden einen Geschenkgutschein fand. Das ist aber mal nobel und eine wunderbare PR-Strategie, Neukunden zu werben, dachte ich - und fragte ungläubig die Dame an der Kasse: "Ist der für mich?" - "Ja, das ist ein Geschenk". Geschenkgutschein heißt das Ding ja auch, klar. Rund 160 E war er wert. Mir hätte sofort einfallen sollen, dass auf dieser Welt nichts umsonst zu haben ist.

Gestern nutzte ich den prächtigen Tag, um mir ein Geschenk zu machen. Voller Vorfreude hatte ich mir ein Konzert ausgesucht, dass ich mir nie leisten könnte: Das New York Symphonic Orchestra mit irgendeiner Berühmtheit und Musik von Gustav Mahler. Es waren sogar noch Plätze frei. Und dann kam die böse Überraschung. "Der Gutschein ist schon storniert", meinte die freundliche Dame an der Kasse. Ich verstand natürlich erst einmal nichts, war ungläubig und erzählte ihr meine Geschichte. Sie hängte sich ans Telefon. "Die Kundin behauptet..." Hoppla, ich behauptete nicht, das hat ein G'schmäckle, ich war verwundert, baff, ungläubig. Und musste noch einmal erklären, wie ich zu dem Gutschein gekommen war. Der sei nämlich längst per Lastschrift verbucht worden.

Die Sache hat sich dann geklärt, aber irgendwie stellte sich bei mir kein Gefühl der Befriedigung darüber ein. Anscheinend hatte es sich um Geld für eine Kartenrückerstattung gehandelt und die Kassiererin habe offenbar diesen Gutschein im Computer vergessen gehabt und dann mit meiner Karte zusammen aus dem Drucker gelassen. Dumm, solche Pannen können passieren. Nur war, als ich die Karte abholte, weit und breit vor mir niemand im Festspielhaus gewesen. Wie kann man einen Gutschein so lange im Drucker vergessen und dann auch noch auf meine überraschte Nachfrage antworten, das sei ein Geschenk? Auch hinter mir drängelte niemand, so dass Zeit zum Überlegen gewesen wäre. Wie dem auch sei - der Geschenkgutschein war kein Geschenk an eine Neukundin. Für die gibt es Sektgutscheine und einen solchen bekam ich dann als Trost und Entschuldigung. Die arme Dame an der Kasse konnte ja auch nichts für ihre Kollegin vom letzten Jahr.

Das Gefühl war unschön. Als habe man ein Kind in ein Zimmer mit geschmücktem Weihnachtsbaum geführt, nur um zu erklären, dass Weihnachten ausfalle. Ich hätte mich nicht so intensiv vorfreuen sollen. Allerdings gebe ich dem Festspielhaus und anderen Theatern zu bedenken, dass ein Geschenkgutschein für Neukunden von durchaus kleinerer Summe (5 E wären nur 1 E mehr als das Glas Sekt kostet) ein idealeres Mittel zum "Anfixen" wäre als ein bißchen Alkohol! Hätte ich nämlich ein nur dort einlösbares Sümmchen in der Hand oder einen Rabatt für die zweite Karte, ich würde mit Freuden wiederkommen und aufzahlen. Einen sehr viel besseren Sekt kann ich nämlich zuhause trinken - kein Anlass, so viele Kilometer zu fahren und Eintrittskarten zu kaufen. So viele Opernhäuser und Theater ringen um genau die ZuschauerInnen, die noch nie da waren: bindet eure Kunden mit irgendetwas!

Natürlich bin ich wegen eines Versehens, das einmal vorkommen kann, nicht böse. Wagemutig habe ich mir eine andere Eintrittskarte gegönnt für ein Ballett, das wie für mich platziert scheint zum Abschluss der Arbeiten am Nijinsky: Das Aterballetto aus Italien mit einer Uraufführung von Strawinskys Le Sacre in der Choreografie von Mauro Bigonzetti.
So sehr ich mich über dieses "Zeichen" freue, so aufgeregt bin ich. Ich kenne inzwischen Le Sacre fast Takt für Takt auswendig. Seither ertrage ich nur ganz bestimmte Aufnahmen und andere kann ich beim besten Willen nicht anhören. Und ich kenne die Rekonstruktion des Balletts nach der Choreografie Nijinskys ebenfalls fast in- und auswendig - eine der atemberaubendsten Choreografien überhaupt. Es ist nicht einfach, sich mit einem derart vorgefüllten Kopf auf ein neues Experiment des 21. Jahrhunderts einzulassen, zumal die Kritiken äußerst widersprüchlich sind.

Sollte das Aterballetto wirklich so nah am schönen Kitsch bauen, wie manche ihm nachsagen, würde es alles zerstören, was sich Strawinsky und Nijinsky zu diesem Stück je gedacht haben. Vielleicht aber ist auch das der Skandal unserer Zeit? Wo damals nur "Kakophonie" und "Verrenkung" schockierte, muss es heute vielleicht Schönheit und Kitsch sein? Ich bin schwer gespannt...

Für Interessierte noch ein Jahre alter Artikel über das Aterballetto und die Methode Berlusconi, das Tanztheater in Italien nachhaltig zu ruinieren. Auch diese Art von Kunst- und Kulturzerstörung hat Geschichte. Die Ballets Russes hätten in Paris 1909 nicht diese Erfolge feiern können, wenn nicht die Franzosen das Ballett in ihrem Land durch Vernachlässigung, fehlende Gelder und fehlenden Mut völlig zugrunde gerichtet hätten. Kommt einem bekannt vor? Nikola alias Rabenblut hat einen wunderschön bissigen Beitrag zu den Sparmaßnahmen in Kunst und Kultur geschrieben. Wenn wir uns im "alten Europa" kulturell zu Boden gewirtschaftet haben, kommt vielleicht  eines Tages eine Gruppe aus irgendeinem vergessenen, exotischen Land und zeigt uns wieder, was Kunst und Kultur an Zivilisationsarbeit leisten?

2 Kommentare:

  1. Der Ärger mit Gutscheinen .... schade wirklich wenn man sich dann noch die Zeit nimmt und so schöne Kultur geniessen möchte.
    Wünsche Ihnen ein wunderschönes Wochenende.
    Daniela Skrzypczak

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  2. Und dazu extra aus Frankreich nach Baden-Baden anreist ... aber bei dem schönen Wetter ließ ich mich nicht lange ärgern. Das Essen in Nikolaj Nikolajewitsch Gagarins ollem Palais war vorzüglich :-)
    http://www.wimare.de/photo_album.php?lang=de&city=b&picture=86
    Ihnen auch ein frühlingsschönes WE,
    Petra van Cronenburg

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