Furchtbare Vereinfacher

Manchmal kommt ein Text genau zur richtigen Zeit. Manchmal trifft solch ein Text deshalb ins Mark und lässt das eigene Denken nicht mehr los. Zunehmend finde ich solche Texte nicht mehr in Printmedien oder Büchern, sondern in der großen Form des Radio-Features, das sich einige Sender zum Glück noch leisten.

Eben habe ich leider nur noch den Rest eines solchen gehört und kann es allein von dieser halben Stunde her nur ganz heiß empfehlen. Denn es betrifft so viele Themen, die mich auch in diesem Blog immer wieder umtreiben - wie viele Kreative und Künstler.

"Furchtbare Vereinfacher. Ein Adorno Western in 3 Teilen" heißt das brillante Feature von Holger Noltze, das vom SWR 2 ausgestrahlt wurde. Am Beispiel von Musik - von Beethoven bis DJ Bobo - stellt dieses Feature unbequeme Fragen, wie sich unsere ästhetische Wahrnehmung von Kunst und Kultur verändert hat und wie sich beides dem Konsumverhalten in der Waren- und Leistungswelt angleicht. Es geht auch um die inzwischen drängende Problematik, ob das Publikum tatsächlich so anspruchslos und dumm sein will, wie es zunehmend verkauft wird, ob man das beeinflussen kann - und was Kunst eigentlich noch ausmacht, wo Kunst ihren Raum finden wird.

Ein Zitat aus dem dritten Teil, wo es darum geht, ob man in Zukunft die Kunst anbieten sollte, die eine Masse von Menschen verlangt oder mit Kunst Menschen auch fordern darf:
Die hier angestellten Überlegungen zu anderen Ansätzen der Vermittlung gehen von der Vorstellung aus, dass es zur menschlichen Grunddisposition gehört, zwei Bedürfnisse zugleich zu spüren, die sich im Grunde widersprechen: das Bedürfnis nach Ruhe, Bequemlichkeit, Ersparung von Aufwand und Anstrengung,  den Weg des geringsten Widerstands zu suchen. 
[...] Es gibt aber auch den anderen Impuls, die Freude an der Bewegung, Aufregung, Sichverausgaben, Erreichung eines Ziels, Erfahrung von „Selbstwirksamkeit“. Wir haben alle beides.
Der Autor folgert daraufhin für das Wesen von Kunst:
Im Kunstwerk ist eine spezifische menschliche Erfahrung als Keimzelle enthalten, eingeschrieben, die einer aufgeweckten Wahrnehmung lesbar werden kann als ästhetische Erfahrung, die zugleich ein Akt genussvoller Perzeption ist.  
Doch genau dieser Genuss sei mit Arbeit und Anstrengung verbunden - seitens des Künstlers und seitens des Betrachters / Zuhörers / Lesers. Wie man an dieser Passage sieht, eignet sich das Feature aus der Musikwelt nicht nur für Musiker. So viele Erkenntnisse sind auf andere Künste übertragbar.

Die dreiteilige Sendung ist leider schon gelaufen. SWR 2 bietet jedoch einen Mitschnittservice und noch besser - die Manuskripte der Sendung. Ich sage es gleich: Die Texte sind kein lockerer Zeitvertreib zwischen Twittern und Telefonieren, pro Sendung gibt es außerdem über 20 Manuskriptseiten. Aber ich lege das Manuskript all denen ganz dringend ans Herz, die sich ebenfalls mit diesen Fragen plagen, die zu "Spezialisten des Andersdenkens" werden wollen, wie es bei Holger Noltze heißt - und die sich überlegen, wie das in der modernen "Warenwelt Kultur" noch möglich ist. Eine echte Sendung für Quer- und künftige Vordenker!
Ich habe im Archiv des Senders die Direktlinks zu den pdf der Manuskripte herausgesucht:

Furchtbare Vereinfacher. Ein Adorno Western, Teil 1
Furchtbare Vereinfacher. Ein Adorno Western, Teil 2
Furchtbare Vereinfacher. Ein Adorno Western, Teil 3

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