Richtig trinken

Man kann Champagner zur Not aus Plastikbechern, aus der Flasche oder aus der Badewanne trinken. Aber wie macht man's richtig? Im Land des Genießens sind die Zeitungen wieder voll von Tipps zu Silvester, damit die Sinne richtig beflügelt werden - Le Monde klärt uns auf, wie man Champagner richtig trinkt. Den leisten sich viele Franzosen, auch wenn sie unterm Jahr nur den Vin Mousseux für einen Euro die Flasche trinken.

Traditionell isst man dazu oft Austern als ausufernde Hauptspeise, denn in der Saison sind sie nicht viel teurer als Schweinefleisch. Die Vorspeisen unterscheiden sich nicht allzu sehr von denen für Weihnachten: Gänsestopfleber oder Jakobsmuscheln, hunderterlei feine Pasteten und gefüllte Blätterteigtaschen, aber auch Salate mit Meeresfrüchten und Fisch sind sehr beliebt. Der Aspekt des gemeinsamen Zeremoniells beim Essen, der ja unlängst von der UNESCO unter Schutz gestellt wurde, ist an Silvester besonders wichtig. Die Zutaten für Raclette und Fondue (mit Käse oder à la Bourguignonne) finden sich im Supermarkt gleich in Stapeln - eine Variante für Leute, denen Austern nicht deftig genug sind.

Ich habe das unverschämte Glück, dieses Jahr keine Austern essen zu müssen. Nicht, dass sie mir nicht schmeckten, aber wenn ein Essen zum Must wird, kann es einem auch schon mal zu den Ohren herauskommen. Und ich hatte im vorigen Jahr das böse Erlebnis, dass der "Koch" beim Öffnen der Austern den Zitronentest (das Viech muss leben) für überflüssig hielt und eine Bekannte meinte, sich das "depperte" Ritual mit der Zitrone ebenfalls sparen zu können. Prompt erwischte sie die einzige tote Auster und das ist gefährlich. Bretonen begeben sich in so einem Fall sofort vors Haus und trinken ein Glas Pastis pur herunter. Das hat eine fatal explosive reinigende Wirkung, kann aber Leben retten. ***

Zur Löschung dieser Erinnerung gibt es morgen eine Köstlichkeit aus mit Maronen gefülltem Truthahn in Blätterteigmantel ... und um Mitternacht statt Champagner einen Elsässer Crémant nach traditioneller Methode. Es ist also das gleiche (extrem viel billiger) in der Flasche wie im Champagner, darf sich nur nicht so nennen, weil es aus einem anderen Gebiet stammt. Und am liebsten trinke ich die perlende Köstlichkeit völlig falsch: aus einer Schale. Bleikristall, mundgeblasen, handgeschliffen und -graviert, mit einem soundsoviel-Karat Goldrand. Solche Schönheiten wurden vor zehn Jahren noch zu Spottpreisen aus Böhmen nach Polen exportiert - heute kann man das wahrscheinlich längst per Internet zu verwestlichten Preisen kaufen...


 Wie aber trinkt man nun richtig? Le Monde erklärt uns die Nachteile herkömmlicher Sektgläser: Schalen sehen zwar schön aus, entlassen jedoch die Kohlensäure zu schnell und die Düfte des Getränks entweichen seitlich zu weit von der Nase weg. Das ist bei Sektflöten zwar besser gelöst, aber hier monieren die Profis, dass die Kohlensäure zu senkrecht und eng aufsteigt, dadurch in der Nase kitzelt und es unmöglich macht, etwas vom Bouquet wahrzunehmen. Sommeliers empfehlen also die Gläser, die man auch für eine Weinverkostung nimmt: Sie sind sehr einfach gestaltet, tulpenförmig und nach oben hin enger (Foto).

Hochwertige Sektgläser unterstützen das Aufsteigen der Kohlensäure, indem der Boden wie ein spitzes "V" geformt und am besten aufgeraut ist. Das führt zu nahezu ununterbrochenen, gleichmäßigen "Perlenschnüren". Außerdem wichtig ist die Glaspflege: Ein gutes Champagnerglas sollte nur mit heißem Wasser in Berührung kommen, aber nie mit Spülmittel, das die Entwicklung der Kohlensäure hemmt und sogar die Geschmacksentfaltung stören kann.

Und dann steht dem Hochgenuss eigentlich nichts mehr im Weg. Wer so probiert, wird merken, dass Sekt oder Champagner nicht einfach nur lustige "Kribbelwasser" sind, sondern wie beim Wein auch sehr unterschiedliche Qualitäten und Bouquets haben können. Und beim nächsten Einkauf im Elsass beachten: Es gibt nach dem Champagnerverfahren hergestellten "Crémant". Das AOC-Label muss er haben und nach "méthode traditionelle" gefertigt sein - und wenn es dann auch noch ein Grand Cru ist, er also aus kontrollierter bester Lage stammt, kann er es mit dem französischen Edelgesöff durchaus aufnehmen.

Vielleicht hat dieser Beitrag an ein gewisses Kapitel über das Weingenießen von mir erinnert? Gibt es Menschen, die neugierig wären, zu erfahren, wie manche Könner Rebsorten im Glas hören? Oder warum man in Frankreich einen "Palast" in der Mundhöhle trägt? Und wie man das eigentlich macht, dieses Weinschmecken? Das Kapitel "Kultur auf der Zunge" mit dem passenden Rezept zum Coq au vin, dem in Wein geschmorten Hähnchen, findet sich in meinem Elsass-Buch. Und das soll sich nächstes Jahr endlich wieder im Handel breit machen - wenn auch in anderer äußerlicher Aufmachung für die dritte Auflage. Und damit nicht genug: Es wird nicht mein einziges Genussbuch bleiben, das mit dem Elsass zu tun hat!

Ich darf vielleicht auch schon verraten, dass ich für die Zukunft mehr Veranstaltungen in dieser Richtung plane, die garantiert keine "trockenen" Lesungen werden, sondern Buchkultur mit Genusskultur verbinden sollen. Und weil ich endlich auch mutig genug bin, in französischer Sprache aufzutreten, kann ich mir sehr gut ein grenzüberschreitendes, zweisprachiges Programm vorstellen. Noch ist das Zukunftsmusik - zuerst müssen die Bücher erscheinen und dann passende Veranstalter gefunden werden. Aber nach dem Nijinsky-Buch kommt "Elsass. Wo der Zander am liebsten im Riesling schwimmt" wieder, versprochen!

Und damit wünsche ich allen Leserinnen und Lesern hier ein interessantes und gutes neues Jahr!

*** Nach Silvester ist man schlauer: Ich habe mir sagen lassen, Austern seien inzwischen alles andere als billig, die Preise steigen rasant. Ein Herpesvirus in Verbindung mit Bakterien macht ihnen nämlich den Garaus. Angeblich ist er ungefährlich für Menschen, aber tödlich für junge Austern. Ursache der Seuche: die Vermüllung der Meere durch den Menschen und beste Vermehrungsbedingungen durch ansteigende Temperaturen. Denn auch das ist die Auster: der perfekte Müllschlucker.

3 Kommentare:

  1. Liebe Petra,

    das klingt sehr interessant und appetitlich. Wie gerne hätte ich den Artikel in Le Monde gelesen, aber ich habe den Fehler gemacht in der Schule Latein zu wählen. ;-)
    Just heute Mittag haben mein Liebster und ich uns einen Französisch-Kurs gekauft und die ersten Vokabeln gepaukt - schließlich möchten wir im Sommer wieder in die Normandie fahren.
    Deshalb vielen Dank für die ausführliche Beschreibung der Sektgläser! Ich befürchte aber, dass sich eine Qualifizierung in diesem Thema stark auf den Geldbeutel auswirkt. Dann kauft man bestimmt keinen günstigen Wein/Sekt mehr, oder?
    Trotzdem gibt es bei uns an Silvester Raclette, wenn auch in einer eher eingedeutschten Variante.
    Ich wünsche Dir für das neue Jahr ebenfalls alles Gute und vor allem einen erfolgreichen Nijinsky-Buchstart!

    Liebe Grüße
    Nikola

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  2. Liebe Nikola,
    danke, freut mich! Und was die Vokabeln betrifft: Seid nicht zu streng mit euch, der Rest kommt im Lande! ;-)

    Ich möchte an dieser Stelle etwas betonen, was ich auch auf Lesungen immer wieder zu vermitteln versuche: Wirklicher Genuss ist keine Frage des Geldes, sondern eher der Lebenskunst (irgendwann muss ich wohl auch darüber mal ein Buch schreiben).

    Schönes Beispiel das Foto: Spiegel für 3 E aus dem Ramsch von Emmaus, die Stoffe aus ein paar uralten Klamotten geschnitten und der Crémant kam von Aldi France für 3.99 E
    Der Witz ist, dass auch die Profi-Gläser sehr viel billiger als jedes normale Sektglas sind, die gibt's nämlich von "arcoroc", der legendären Billig-Kult-Marke für sehr wenig Geld in jedem Supermarkt. Und natürlich aus Kristall im Fachhandel - aber schmeckt man selbst noch den Unterschied bei der Silvesterfeier?

    Ich kenne natürlich Preise und Umstände in Deutschland nicht mehr so (dort schmeckt mir der Sekt meist lausig und überteuert), denke aber, auch da kann man erfindungsreich sein.

    Und was das intensive Schmecken und Genießen betrifft: Das kann man natürlich für ultrateures Geld beim Spitzensommelier im Luxushotel lernen. Man könnte aber auch genauso gut an einer Weinstraße verschiedene Winzer besuchen, probieren und mit ihnen ins Gespräch kommen: von Winzern lernt man am meisten über Wein - und das ganz umsonst.

    Ich habe auch eine ganz provozierende Anleitung für Anfänger: Pfeift auf den Preis, auf die Namen und alles Gedöns und versucht einfach einmal, ganz offen und konzentriert hinzuschmecken, zu vergleichen, Kombinationen zu prüfen. Dann kann der harmonische Corbières für 2,20 E tatsächlich besser schmecken als der zu junge 30-E-Bordeaux - und sogar besser zum Essen passen. Genauso wie ich von Veranstaltern lernen durfte, dass der 1-E-Mousseux (brut) zum Mischen als Kir Royal sehr viel besser kommt als der teurere Crémant, weil er selbst weniger aufdringlich und leichter schmeckt.

    Irgendwann ernährt man sich dann auch anders: Lieber einmal die Woche etwas richtig Gutes (= Frisches, no convenience) als dreimal Siff - kostet nicht mehr!

    Übrigens stelle ich mir so meine Elsass-Buch-Lesungen vor: Die Leute zum Genießen und Leben verführen - und das geht sogar mit einem Künstler-Geldbeutel!

    Danke für die guten Wünsche und dir die Erfüllung des größten, sehnlichsten, rabenschwarzen...
    Liebe Grüße,
    Petra

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  3. "Man kann Champagner zur Not aus Plastikbechern, aus der Flasche oder aus der Badewanne trinken."

    Oder aus Damenschuhen! :))

    Komm gut rüber ins neue Jahr, Schwung für die nächsten 12 Monate muß ich dir nicht wünschen, den hast du!

    Mail zum Wein-Thema ist unterwegs, aber an dieser Stelle ein Danke für die vielen interessanten, anregenden Blogbeiträge.

    Ich wünsch dir weiterhin viel Erfolg und spannende neue Kontakte!
    Jan

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