Pippi oder Playmobil?

Prolog
Ich habe ja auch einmal Romane geschrieben, obwohl ich heute lieber meine reiferen Werke empfehle. Damals war ich noch als "richtige" Schriftstellerin anerkannt, denn richtige Schriftsteller haben gefälligst Romane zu schreiben. Heute bin ich écrivaine nur noch auf Behördenformularen. Leute, die Sachbücher schreiben, sind keine richtigen Schriftsteller - so reagieren sogar Autorenkollegen. Das kann ja jeder. Aber so richtige Sachbücher beherrsche ich eigentlich auch nicht, also diese Dinger à la "Sich mit dem inneren Moppel versöhnen" oder "Überlebende einer Schreibjunkie-Sekte" oder "Klimaerwärmung am heimischen Ofen mit Großmutters Brennesselrezepten". Ich kann das alles nicht.

Und jetzt habe ich ein Buch geschrieben, das kein richtiges Buch sein wird, weil man Töne auf CDs pressen wird. Und was bitte soll das für ein Genre sein, wenn plötzlich Wagnertuben durch den Text toben? Die Autorin steht am Scheideweg. Was kommt als nächstes? Sollte sie nicht langsam einmal beweisen, dass sie des "richtigen" Schreibens mit Plot und Figurenschieberei und zusammenhängender Handlung mächtig wäre? Roman oder nicht Roman, das ist hier die Frage! Faules Stück, reiß dich endlich am Riemen, klopfe täglich zwanzig Seiten eines aufregenden Boosters in die Tasten, tu endlich, wovon du nur immer redest. Dein neuer Stoff hat das Zeug zu 800 Seiten!

Dramaturg: Dieser Prolog soll die aussichtslose, zerrissene Situation der Autorin verdeutlichen, die im Abgrund eines inneren und äußeren Konflikts schier verröchelt.

Die Heldin zieht aus zur Quest
Zuerst habe ich meine wabernde Idee anrecherchiert und nach Fachbüchern zum Thema gesucht. Ein äußerst kundiger Kollege hat mir außerdem versichert, dass ich zumindest die gängigen philosophischen und politischen Schriften im Original gelesen haben sollte, vor deren Hintergrund meine Figuren lebten. Dann fand ich sogar ein Buch aus einer uralten Backlist bei Suhrkamp, das nach Recherchezwang aussieht. Aber ich müsste es erst aus dem Deutschen ins Deutsche übersetzen. Bin ich denn vom Affen gebissen? Könnte ich mir nicht lustig und bequem wie bei meinen Romanen Fantasiefiguren zum Frühstück einladen, damit die mir die Geschichte diktieren? Das schaff ich doch nie! Bin ich des Wahnsinns fette Beute?

Lektor: Shakespeare wird sich im Grab herumdrehen!

Die Heldin bewaffnet sich
Ganz langsam der Reihe nach. Es geht um zwei gelebt habende Typen, die mit anderen Typen, und die haben wieder mit Typen. Trara! Wenn das kein Konfliktpotential hat! Gelebt habender Nr.1 gegen gelebt habender Nr.2, suchen wir nach einer Nr.3 für noch mehr Spannung. "Love interest!", höre ich eine fiktive Lektorin schreien. Nr.1 hatte eine ziemlich tumbe Geliebte, die wohl nur im Bett gut war, und Nr. zwei war schwul. Beste Voraussetzungen für einen Roman um eine starke Frau. Ich war verloren. So würde ich nie eine echte Schriftstellerin. Doch traritrara, just in dem Moment stolperte ich über das Blog einer Schriftstellerin, die eine verblüffende Methode beschrieb.

Dramaturg: Hier muss mehr suspense rein!

Es ist verblüffend und lesenswert, wie Karla Schmidt bei ihrem Agenten zur Playmobil-Sitzung eingeladen wurde. So einer Art Familienaufstellung für Romanfiguren. Absolut faszinierend. Mir fiel ein, dass ich das auch schon mit Halmafiguren gemacht habe, der Fiesling war natürlich Gelb. Das Halma-Machwerk, ein echter Roman, kam auf 160 Seiten und verrottet seither in der Schublade, weil ich mich beim Halmaspielen unsäglich langweilte. Ich spiele so viel lieber "Mensch ärgere dich nicht", aber ich konnte doch schlecht alle Figuren killen oder einsperren? Sobald ich nämlich einen genauen Plot im Kopf habe, wird das Schreiben zum reinen Hausaufgabenmachen: stinklangweilig. Ich würde zu gern einmal bei einer solchen Psychoromanspielsitzung Mäuschen spielen. Aber ich würde mich nie und nimmer, auch nicht im gestörtesten Fall, einer Familienaufstellung anvertrauen - die sind ja nicht ganz unumstritten. Warum aber sperrte ich mich gegen die süßen Playmobilmännchen? Was sollte ich tun? Wie sollte mein neues Projekt je eine Form finden?

Dramaturg: Der Cliffhanger ist abgelutscht. Vielleicht erst mal Grundbegriffe des Handwerks lernen, he?

Turning Point: Die Sitzung
Kamerazoom auf Autorin: Die jammert und greint, man hört Wortfetzen "...wird aus mir nie..."
Sigmund Freud reißt die Tür auf und stürmt zum Kanapee. "Bei Gustav Mahler habe ich mich geweigert, bei dir kann nicht viel kaputtgehen, also erzähl mir aus deiner Kindheit! Ich sage nur Playmobil!" Er legt sich nieder.

Ich erinnere mich. Diese Plastikmännchen wurden erfunden, als ich schon lebte. Manchmal haben wir eins in eine Legovilla gesetzt, aber die waren so hart und kalt, Plastik eben. Ich habe Männchen aus Knete geknetet. Ich hatte auch eine Barbie und eine Petra (hahaha), die waren auch hart und kalt. Die hatte ich nur, weil ich ihnen schicke Klamotten schneiderte und häkelte, in irren Popfarben und weil ich faul war, manchmal auch einfach nur geklebt statt genäht. Da lag irgendeine frühe Störung in mir begraben. Ich spielte nie Familienaufstellung mit Ken. Ich entwarf schrille Klamotten. Als ich noch viel viel kleiner war, malte ich mit blauem Fettstift in jedes neue Bodenbelagsplättchen in Empfindlichgrau einen Strich. Fühlte sich besser an. Und zur gleichen Zeit malte ich auf ein rosa-blau-getupftes Schürzchen bunte Wasserfarbenkringel, bis die Schürze endlich wirklich schön war.

Freud zieht eine bedenkliche Schnute. Er sehe zwar, dass ich nie gelernt hätte, mit Puppen zu spielen...

Ich verheimliche ihm meine Plüschbären, Plüschhunde, Plüschäffchen und Knuddelpuppen und sage stattdessen:
- Stimmt, als ich einmal die Wahl zwischen einer Puppe und einem Mercedes Coupée aus Weichplastik hatte, nahm ich das Auto.
- Ob es mir möglich sei, die zu schreibende Geschichte als Auto zu betrachten, in das alle Figuren der Reihe nach einsteigen.
Ich sage ja, die spinnen, die Psychos...
- Ob es irgendeine Parallele zu meinem Recherchewahn in der Kindheit gegeben habe? Zu diesem Drang, die Wirklichkeit zu untersuchen und Tatsachen zu sammeln?

Das Kindheitstrauma
- Pippi Langstrumpf!
Natürlich lag der gute Sigmund auf meinem Kanapee auf der Leitung. Aber was tut man nicht alles als Privatpatient. Ich klärte ihn auf übers "Sachensuchen", eine Spezialität, die ich von Pippi übernommen hatte. Mit Wonne zog ich mit meinem größten Sandeleimer los und ging "Sachensuchen". Glitzernde Perlen von Kieswegen, wundersame Juwelen aus abgeschliffenen Glasscherben, tote Käfer, mumifizierte Pflanzenteile, weggeworfene Zettel mit Geheimbotschaften aus Zeitungen. Die Welt war eine Schatztruhe!

Sigmund Freud stand auf und stampfte auf. Wie Rumpelstilzchen keifte er, dass er immer an die falschen Patienten gerate. Allesamt therapieresistent. Aus mir würde nie eine Puppenspielerin werden. Was hätte das gegeben, wenn Pippi selbst Bücher geschrieben hätte! Er löste sich in Rauch auf.

Dramaturg: Das war "deus ex machina". So mogelt man sich nicht aus einem verfahrenen Plot!

Sachenschreiben
Ich war für immer gezeichnet. Eine Sachensucherin. Wenn überhaupt je etwas aus dieser Schreiberin werden würde, dann eine Sachenschreiberin. Wie Pippi würde sie sommerbesprosst dasitzen und vom Pferd erzählen, ohne Ordnung, ohne Hausaufgaben. Manchmal würde sie flunkern, was das Zeug hält, etwa in ihrem Blog. Damit keiner merkte, dass neben ihrem Schreibtisch nur ein riesiger imaginärer Sandeleimer steht, voller Schätze, die für andere nur Kieselsteine und Glasscherben waren. Reines Illusionsgewerbe. Sie würde so tun, als sei der mumifizierte Krebs lebendig, als könnten Ameisen auf einem Blatt übers Meer in andere Länder fahren, als würde man in einem leeren Schneckengehäuse Gewisper hören. Ja, so ließe sich das neue Projekt anlegen...

Dramaturg: Soll das ein Happy End sein? Jetzt hat sie sich wieder rausgemogelt! So wird aus der nie...!

2 Kommentare:

  1. Danke. Hat Spass gemacht, das zu lesen ... und ich hoffe, die "jammernde Autorin" ersäuft sich jetzt nicht in einem edlen Tropfen Elsässer Wein.

    Ich bin übrigens "nur" Jugendbuchautorin. Weisst du, das kann auch jeder. So zwischen zwei Erwachsenenromanen, wenn noch ein paar Wochen Zeit sind, gell, ist ja kein Problem ...

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  2. Haha, du weißt doch, Autoren inszenieren sich immer selbst ;-) Der Jammerlappen hat anschließend glücklich im neuen Projekt herumrecherchiert und dolle Sachen gefunden.

    Tja wenn ich es so recht bedenke, kann ja heutzutage sowieso jeder schreiben. Ist ja keine Kunst, nicht wahr... Nur wir sind ein bißchen blöd, wenn nämlich all diese Schreiber an Probleme stoßen, sollten wir ihnen schleunigst Halmafiguren-Kurse anbieten, Übernachtung auf einem Kanapee inklusive und Halbpension mit Buchstabennudeln. Dann hätten wir endlich ein gerechtes Einkommen! ;-)

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