Rabenschwarz, Seelenkram

Wie eine alte schwarze Krähe komme ich mir in letzter Zeit vor, wenn ich hier mein Kroaaak über galoppierende Verblödung und den Untergang der Qualitätskultur ablasse. Ich wurde sogar schon ernsthaft gefragt, ob ich ein persönliches Problem hätte und mir nur irgendwelchen Frust von der Seele jammern müsse. Irgendwie ist an dem Einwurf sogar etwas dran: Ja, ich habe ein Problem.

Ich habe ein Problem damit, erleben zu müssen, wie literarische Verlage aufgeben (prominentestes Beispiel Ammann) und immer mehr unabhängige Verlage am finanziellen Abgrund operieren müssen (s. die inzwischen erfolgreich abgeschlossene Sponsorensuche bei kookbooks). Ich habe ein Problem damit, dass in meinem Bekanntenkreis immer mehr Kulturschaffende von ihrem Einkommen nicht mehr leben können oder arbeitslos werden, weil an Kultur zuerst gespart wird. Ich habe ein Problem damit, von immer mehr gestandenen bis erfolgreichen Kolleginnen und Kollegen hören zu müssen, dass auch sie zunehmend am Abgrund arbeiten, manche mit letzter Kraft, manche schon halb im Burnout, die glücklichsten (?) wenigstens noch von Verlagen gefragt, ob sie ihr Schreiben nicht ein wenig glätten wollten, nach unten anpassen, vereinfachen. Der Mensch lese nicht mehr so viel und wenn, dann verstehe er Sätze mit mehr als zehn Wörtern auch nicht mehr.

Passend zur Jahreszeit sieht es um mich herum bei Freunden, Bekannten und Kollegen, was das Qualitätsschreiben betrifft, rabenschwarz aus. Immerhin, mich trifft zu diesem Jahresende die Misere nicht, ein Hörbuch ist in Vorbereitung und ich habe einen Auftraggeber, der für Text noch richtig ordentlich zahlt und für eine Menge Menschen produzieren lässt, was Verlage längst nicht mehr für verkaufsträchtig halten. Sogar ein Büchlein werden wir den Leuten in die Hand drücken.

Ganz ehrlich, ich würde gern wieder witzig und spritzig sein und diese Wirklichkeit vergessen. Gestern war ich fast so weit, hatte Visionen von kulturellen Umbrüchen und Aufbrüchen, von Chancen, wenn man nur beweglich bleiben würde (und die Finanzen sich auch mal nach oben bewegen würden). Und ausgerechnet in dem Moment schalte ich das Radio ein, es läuft die Laudatio von Paul Ingendaay für Walter Kappacher, der den wohl bedeutendsten deutschen Literaturpreis verliehen bekam - den Georg-Büchner-Preis.

Und was hören meine katastrophenverwöhnten Ohren? Originalton Ingendaay:
"Wenn die Leute 'Kunst' wittern, laufen sie davon. Literatur als 'Kunst' ist ein Ladenhüter."
Zu dieser Einsicht kommt er aus eigener Erfahrung. Das Manuskript von Kappachers "Fliegenpalast" hat er nämlich persönlich voll Lob verschiedenen Lektoren empfohlen. Die hätten gestanden, dass es in der Tat ein wunderbares Manuskript sei, aber Bücher müssten sich verkaufen und das ändere das Bild. Absagen. Der kleine, feine Residenz Verlag griff zu. Kann es dann trösten, dass tausend Fliegen doch irren können und der Erfolg des Buchs ihrer Börsianerseele spottet?

Ja, manchmal helfen solche Geschichten über die schwärzesten Zeiten hinweg und trösten. Manchmal kann man mit Kollegen über die Typen mit den Taschenrechnern dann hämisch lachen. Aber schnell kommt wieder der schriftstellerische Selbstzweifel, der angeblich so gesund ist. Wir sind schließlich alle keine Kappachers. Könnten dann jene Lektorinnen und Lektoren nicht doch recht haben, wenn sie uns Schmonzetten und schlecht montierte Baukastensytem-Romane mit irren Erfolgsquoten vor die Nase halten? Könnte es nicht sein, dass der Kollege, der plötzlich nicht mehr ankommt, einfach schlechter geworden ist, "am Markt vorbeischreibt"? Wäre es nicht endlich Zeit, vernünftig aufzugeben?

Es ist eisig kalt geworden da draußen. Tausend Fliegen schwirren um Autorinnen und Autoren und geben ihr Urteil ab: Leichnam. Aas. Stinkt schon. Auf ihn mit Gebrumm!
Aber wie war das? Tausend Fliegen können alle irren.
Und ist das jetzt nicht die Zeit, wo Tote aus den Gräbern aufstehen und Untote die Fliegen das Fürchten lehren? Nur nicht schimmeln. Lämpchen anzünden im Kopf und laut mit den Knochen klappern! Schon so manche totgesagte Reliquie hat es zur wundersamen Auflagenstärke gebracht.

PS: Irgendwie macht einen dieser Novembernebel ganz meschugge.

Die gesamte Laudatio auf Walter Kappacher kann man hier nachlesen (via residenzverlag).

Und in eigener Sache: 
Ich stelle gerade fest, dass durch die Umbauarbeiten meine Liste "Kleine feine Verlage" im Menu herausgefallen ist. Sobald ich mehr Zeit habe, wird sie wieder eingebaut, versprochen - mit neuem Titel allerdings. "Klein, fein" ist irreführend und stimmt vor allem im ersten Teil nicht immer, eingebürgert hatte es sich im Blog ja als Unterscheidungsmerkmal gegen "austauschbare Massenware aus der Konzern-Retorte." Hat jemand Titelvorschläge? Immer her damit!


2 Kommentare:

  1. Liebe Frau Cronenburg,
    der Schwanengesang passt schön in die Novemberschwaden und hat somit Saison. Es ist ein wiederkehrendes Ritual: der ewige Verdruß an der Veränderung der Welt. Schon Platon bekannte seine Müdigkeit daran öffentlich. Dennoch, ich nehme an, daß das Verhältnis der Bornierten zu den Schöngeistern eine ebensolche Konstante ist wie die Lichtgeschwindigkeit.
    Daß die Bornierten heute als Käuferschicht eine Rolle spielen, ist eine Tatsache, der Rechnung getragen wird. Sie bekommen ihre Moritaten jetzt wie einst. Damals war es der Leierkastenmann, heute sind es Random House und Holtzbrinck in inniger Umarmung mit Thalia, Weltbild und Hugendubel. Daß die Gilde der Lektoren, die diese Käuferschicht mit der gewünschten Kolportage versorgt, gnadenlose Zyniker sind, die ihre Leserschaft verachtet, ist eine andere Tatsache.
    Dennoch, die kunstvolle Literatur hat ihre Leser. Ihr Anteil bleibt konstant. Selten steigt einer dieser Titel in eine Bestsellerliste auf. Die Vermischung von Schöngeist und Einfältigkeit bleibt die Ausnahme. Was sich verändert hat, ist der Absatz dieser Literatur. Die Buchhandlungen haben schwer zu kämpfen, nicht nur wegen der großen Filialisten, sondern auch wegen der Gier der Erben, die für das ererbte Wohn- und Geschäftshaus höchstmögliche Rendite erzielen wollen und dafür eine Buchhandlung im Haus mit hohen Mietforderungen ungerührt platt machen.
    Mit dem Frühjahr aber kommt er wieder, der Glaube an die Menschheit. Ich habe ihn dagegen nie verloren, selbst wenn ich zwischendurch an ihr verzweifle.
    Was die Einkommenssituation der Kreativen angeht, so stimmt es, dass der Arbeitsdruck immer höher wird. Dies liegt aber nicht nur an sinkenden Honorarsätzen, sondern auch an sinkenden Auflagen, schließlich werden wir verkaufsabhängig entlohnt. Gleichzeitig steigen die puren Lebenshaltungskosten. Der Spagat lässt sich nur mit Mehrarbeit schließen, aber irgendwann ist da auch Schluss.
    Was die Forderung nach noch mehr Seichtem angeht, könnte auch ich ein Lied davon singen. Ich unterlasse es, weil ich diese seichten Lieder als Ghostwriter schrieb. Die Forderung ist da, aber es lohnt sich selten, sie zu bedienen. Meist sind es Versuchsballons, die man da steigen lässt. Der Verlag, der diese Ballons mit heißer Luft füllt, kann es sich leisten. Wird nur jeder zwanzigste ein Erfolg, lohnt es sich. Die anderen schaffen so oder so ihre Kostendeckung und umrahmen insgesamt das Programm, heißt man bleibt im Gespräch. Einzig der Autor schaut bei diesem Spiel alt aus, denn wenn nur jeder zwanzigste Titel über dem Durchschnitt liegt, hat er neunzehn für lau geschrieben. Wenn er ein flotter Schreiber ist, ist er also alle zehn Jahre mal wieder im Geld, oder anders gesagt zehn Jahre wie der Esel hinter der vorgehalten Möhre hergerannt. – Kein Geschäft für wirtschaftlich Denkende. Aber wir tun’s ja für die Muse, dieses hinterhältige Miststück …
    Lieben Gruß
    Matthias Mala

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  2. Lieber Matthias Mala,
    schön, dass wieder einmal jemand so ausführlich kommentiert, danke!
    Es ist immer ungeheuer schwer, in einem kurzen pointierten Beitrag wie dem meinen Gedanken nicht als Pauschalurteile klingen zu lassen, deshalb nur eins: Ich bin ein Stehaufmännchen, wenn auch manchmal mit Muskelkater.

    Trotz Schwanengesang sehe ich eher die Chancen in den Veränderungen und die Tatsache, dass noch nie in der Geschichte so viele Menschen in unserer industrialisierten Welt lesen und schreiben konnten. Schon von daher braucht es sehr unterschiedliche Buchmärkte. Und als ich Anfang der Neunziger ins brodelnde Polen ging, habe ich gelernt, dass bei Umbrüchen aller Art durch Improvisieren und Experimentieren faszinierend Neues entsteht.

    Und doch gibt es im Umbruch die sog. "verlorene Generation", wenn sich die (Arbeits-)Welt verändert. Was mir zu schaffen macht, ist die erschreckend hohe Zahl davon in meinem Bekanntenkreis, die wiederum von einigen Fällen in ihrem erzählen können. Ich kenne nur wenige aus dem Buchgeschäft und rechne dann hoch. Das macht Angst, zumal die Gegenseite, die gleich alles niederwalzen will, im Internet so laut erscheint. Vielleicht mahne auch ich manchmal zu laut - weil es einfach höchste Zeit ist, dass ein Umdenkprozess beginnt (nicht nur bei kreativen Jobs).

    Was den unabhängigen Buchhandel betrifft, so kenne ich zum Glück eine andere Seite als Sie. Erben kann man es nicht verdenken, wenn sie nicht mehr den Beruf der Elterngeneration ausüben wollen. Aber gerade die gebliebene Erbengeneration stellt heute einiges auf die Beine und positioniert sich geschickt gegen die Ketten mit ihrem eigenen Mehrwert, mit professioneller Beratung und "anderer" Auswahl. Vielleicht ist vielen noch gar nicht bewusst, was sie schaffen könnten - vielleicht gemeinsam.

    Umbruchzeiten sind spannend, münden immer in Neues. Aber ich fürchte, es ist wie überall der Geld- und Kräftefaktor, der manchen die Puste ausgehen lässt. Da verröcheln Talent und Muse dann einfach...

    Ich selbst schreibe z.B. nicht wegen der Muse, ich würde ganz gern gelesen werden, anstatt autistisch Geschichten zu erfinden... Neuerdings ertappe ich mich aber dabei, zu überlegen, ob sich der Bewerbungsmarathon von Projekt A gegen die Recherche von Projekt B lohnt. DAS macht mir Angst, diese Schere im Kopf!

    Herzlichst,
    Petra van Cronenburg

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