Agri Culture

Weil das mit den Intellektuellen und denen, die sie nicht mögen, gerade Thema ist in deutschen Landen, fällt mir erst auf, an welche seltsamen Zustände ich mich im Elsass bereits gewöhnt habe. Ich lebe sozusagen in einem Arbeiter- und Bauernstaat, zumindest, was meinen Canton betrifft. Viele sind sogar beides auf einmal, um das große Haus und Auto abbezahlen zu können. Künstler sucht man ziemlich vergeblich mit der Lupe und deshalb muss dann immer ich den Behörden erklären, wie das funktioniert, wenn einer keine geregelte Arbeitszeit bei einem deutschen Autohersteller hat.

Ich lebe hier bestens, weil ich keine Berührungsängste habe - und weil kaum einer weiß, was ich mache. Denn schon als Freiberufler ist man hochverdächtig in einer Gesellschaft, die ihre Uhr nach Mittagsglocke und Feierabend stellt. Ja, doch, Kultur gibt's natürlich inzwischen auch, dank der wenigen Verrückten, die sich seit 20 Jahren krummgelegt haben für Hobbyausstellungen oder Kindertheater in der Mehrzweckhalle der Stadt. Wer mehr will, soll nach Strasbourg, was brauchen wir sowas - das hält nur von der Arbeit ab und ist was für Faule ohne Feierabend.

In unserem Verein, der versucht, Theater und Theaterarbeit aufs Land zu bringen, wurde ein Ausspruch eines Bürgermeisters sogar in das Stück "Frontieres - Grenzen" eingearbeitet. Als man bei ihm wegen eines Projekts vorstellig wurde, meinte der gute Mann: "Culture wollen Sie machen? Ist das eine neue Form von agriculture (=Landwirtschaft)?" Seitdem reihen wir Kultur, also Culture, ein in die illustre Reihe von agriculture, apiculture (Bienenzucht), aviculture (Geflügelzucht) und was es da noch an Nützlichem fürs Überleben gibt.

Manche Erfahrungen erzählt man sich dann wie lustige Anekdoten, ohne zu zeigen, wie schlimm es schmerzt. Wie etwa zu einer großen, ganz wunderbaren Ausstellung zweier Künstler in einer Woche nur drei Leute kamen. Die anderen waren absichtlich weggeblieben. Denn einer der Künstler hatte seinen Wohnsitz in Paris. "Diese *zensierterKraftausdruck* Intellektuellen wollen wir hier nicht!", hieß es. Intellektuelle werden boykottiert. Und manchmal erkennt man sie eben daran, dass sie in Paris leben...

Ganz besonders aber wird mir ein Kommunalpolitiker im Gedächtnis bleiben, der von unserem Projekt hörte, Kleinstformen von Theater zu den Bewohnern selbst zu bringen. Sprich, wer viel Platz hat und Lust, kann sich freiwillig melden. Dann spielt jemand in seinem Garten oder seiner Scheune, die Zuschauer kommen sozusagen zu "Nachbars" - alles ohne Hemmschwellen und gemütlich "privat". Die Leute, die sich da melden, haben ihre Freude daran, denn so lernt man auch im eigenen Dorf noch neue Menschen kennen. Was meinte der Politiker: "Das sind doch wieder nur Verschwörungzellen von den Intellektuellen. Dann haben wir sie gar nicht mehr im Griff."

Man kann als Künstler oder Kulturschaffender aber relativ friedlich leben, wenn man's richtig macht. Ich z.B. schimpfe immer mal wieder auf meine verdammte Chefin, die mich abends noch Überstunden machen lässt, mich keine Sekunde aus den Augen lässt. Wie bitte soll man da die Straße ordentlich fegen? Ein Hundeleben sei das am Textfließband, immer die Endkontrolle im Nacken und demnächst, wer weiß - einige Kollegen machen schon Kurzarbeit! Also, falls ich nochmal zur Welt komme, dann gehe ich in die Apiculture, das schwöre ich!

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