Meine Mondfahrt

Ich befinde mich gerade in einem der schönsten Zustände, in die man als Schriftsteller geraten kann. Gestern habe ich eine Art Rohtextsammlung für die erste Szene in die Tasten geklopft. Es fühlt sich fast an wie Verlieben. Die schlimmste, störende Fremdheit ist überwunden; man schwelgt in Gefühlen, die mit dem Verstand nicht zu messen sind - und sehnt sich, sehnt sich unendlich nach dem ersten vorsichtigen Kuß. Pardon - dem ersten Satz in Reinschrift.

Gleichzeitig empfindet man einen ungeheuren Respekt vor dem faszinierenden und schillernden Gegenüber, dieser Schatzkammer von Leben. Kein Wunder, dass auch Ängste hochsteigen. Bin ich wirklich die Richtige? Werde ich ihm je gerecht werden können? Welchen Ton brauche ich, wie stelle ich dar, was kaum darzustellen ist, wie wird er klingen müssen?

Ich liebe dieses Zerissenheitsgefühl am Anfang, so fern aller Routine. So fühlt sich Schöpfen an, denn die Ängste machen die keimende Liebe noch süßer; die Bedenken helfen, nach einer noch perfekteren Form zu suchen. Vielleicht fühlt sich Schneidern so an? Man hat einen nackten Leib, alle Stoffe dieser Welt - und kann, darf doch nur diese eine, einzige Robe erfinden, diese eine Möglichkeit unter allen, die man direkt auf den Leib schneidert. Ich liebe diese Mühen, das Ringen und die Ekstase danach, wenn man etwas entstehen sieht, das zu atmen beginnt.

Diesmal ist es ein ganz besonderer Schatz. Würde es sich um ein Buch handeln, hätte ich nie gewagt, so zu schreiben, wie ich jetzt schreibe. Jetzt werfe ich alles weg, was ich über mich zu wissen geglaubt habe. Ich werde zu einer Liebenden, die sich nicht mehr um Argumente schert. Es interessiert mich nicht mehr, dass man einen Klumpen Ton mit Händen oder Werkzeugen bearbeiten muss. Ich singe ihn einfach an und schaue seinen Verwandlungen zu.

Und dann ist da noch etwas Seltsames passiert gestern. Während ein paar "normale" Projekte auf Bewerbungstour herumschwirren, schreibe ich ja noch "heimlich", um kreativ nicht zu veröden. Nun habe ich bisher immer Probleme gehabt, zwei unterschiedliche Projekte an einem Tag zu bearbeiten. Ich musste sie einzeln gruppieren, um umzuschalten. Roman und Sachbuch nebenher ging gar nicht, da gab es Romantage und Sachbuchtage.

Gestern ging ich an meinen heimlichen Roman, einfach aus Lust und wegen der Freude, dass "Dingens" so gut anläuft. Und weil mich E. (ja, du darfst jetzt ganz breit grinsen) gescheucht hat. Ich musste gar nicht umschalten! Ich war bereits dort. Auf einmal wurde mir klar, dass mein derzeitiges und mein heimliches Projekt aus einem gemeinsamen Kosmos schöpfen. Und es war wirklich ein kleines Wunder für mich, dass meine Sprache nicht mehr zweigeteilt sein musste, nicht mehr Sachsprache und Erzählsprache. Das war das eigentliche Fest. Ich habe eine Erzählsprache entdeckt, die keinen Unterschied mehr macht zwischen Roman und "Sachen".

Obwohl ich umso mehr schnitzen und feilen und überarbeiten muss, ist das Schreiben jetzt ein müheloses. Das bin ich, so wie ich bin. All dieses Gedöns erklingt nicht mehr, diese miesen kleinen Wichte, die einem ins Ohr schreien: Aber da kann ich nebenbei ja kein RTL gucken! Wirste denn das annen großen Verlag verkaufen können? Kannste dich nicht mal ordentlich an das halten, wie man's macht? Du musst gucken, wie das geht, du musst plotten, du musst Akte konstruieren, du musst, du musst, musst musst. Bleib auf dem Boden!

Da bin ich gestern an Bohnen auf den Mond geklettert. Wunderschön hier oben. Die Erde ist ein herrlich blauer Planet, und die dummen Bedenkenträger da unten ahnen gar nicht, wie unsichtbar sie sind. Ich mache es jetzt wie mein großes Idol Donald Duck, setze mich in ein Raumschiff und erkunde all die bunten runden Planeten mit den faszinierenden Wesen. Dingens soll an diesem Wochenende seine erste richtige Szene bekommen, ins Leben treten. Denn ich bin schon gespannt wie ein Drahtseil, welche Stimme mir dann Stimme verleihen wird. Und dazu brauche ich Text.

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