Sich verschenken

Heute in einem Blog über das Schreiben gefunden als typische "Selbsttäuschung von Autoren": "Die meisten Autoren gehen davon aus, dass irgendjemand auf ihre Werke warten würde, dass jemand sie erwarten, benötigen oder wünschen würde."

Wie ist das eigentlich bei mir? Ich habe inzwischen neun Bücher veröffentlicht (Lizenzen nicht mitgerechnet), ein neues Sachbuch und ein Roman sind in Arbeit, mehrere Projekte sind angedacht. Ich kann also von mir behaupten, in diesen zehn Jahren Realistin ohne Illusionen geworden zu sein und berufliche Selbsttäuschungen abgelegt zu haben. Dabei habe ich nie aufgegeben, sondern in Katastrophenzeiten eher einen noch festeren Biss bekommen. Ob ein Verlag pleite ging, aufgekauft wurde oder andere Miseren warteten, mein Wille ist bis heute eisern. Besessenheit und Leidenschaft, vor allem Leidenschaft, sind eher mein Ding, um auch mit leerem Kühlschrank noch zu schreiben. Täusche ich mich selbst? Weil ich fest daran glaube, dass da draußen jemand auf meine Bücher wartet?

Wenn ich unbedingt eine Geschichte erzählen muss, kann ich die doch auch meiner Tante erzählen oder ins heimliche Tagebuch schreiben? Wenn ich Spaß am Schreiben habe, kann ich es doch als Hobby ausüben, während andere in der Kneipe sitzen? Wenn ich Geld verdienen wollte, wäre ich mit jedem anderen Job besser bedient? Ich bin in mich gegangen: Ich schreibe tatsächlich in erster Linie für mein Publikum. Und wenn ich nicht bei jedem Projekt wüsste, dass da draußen Menschen sind, die es wirklich wollen (obwohl sie das ja noch nicht wissen) - dann hätte ich keine Kraft für all die Arbeit. Ein Buch wird für mich erst dann zum Buch, wenn es Leser hat, wenn es kommuniziert mit den Lesenden - und die ihre eigenen Ideen und Gedanken entwickeln.

Leider bekommt man das im stillen Kämmerlein selten mit. Aber da war mal bei einer Lesung eine Frau, die mich begeistert ansprach und mir gestand, dass sie schon bei meiner allerersten Lesung dabeigewesen war. Und wie sie gewartet habe und in der Buchhandlung nachgefragt, ob es wieder etwas Neues von mir gäbe. In diesem Moment wusste ich wieder, warum ich schreibe. Nicht für eine anonyme Masse an Auflagenstärke, sondern für diese eine Frau - und all die anderen. Dann war da mal ein Kritiker, der versuchte, mir nachzuweisen, dass mein ganzes Madonnenbuch Humbug sei. Mich hat es fasziniert zu sehen, wie tief ein Buch berühren kann, wie es sich gegen Denkwelten stellen kann. Auch wenn wir in unserer Meinung nicht zusammenkamen - dieser Mensch hat sich die Mühe gemacht, seine Denkwelt gegen die meine zu verteidigen, das Buch hat etwas mit ihm gemacht. Auch für solche Menschen schreibe ich.

Ich glaube fest daran, dass gute Bücher mit ihren Lesern reden können. Dass das, was ich als Monolog beginne, im Leser Widerhall findet und eigene Gedanken provoziert. Am schönsten und bereicherndsten sind für mich die seltenen Momente bei Lesungen, wenn man gemeinsam diesen Dialog fortführen kann. Dann passiert es mir oft, dass Leser Dinge in meinen Büchern entdecken, die mir selbst gar nicht bewusst sind, die ich vielleicht nicht einmal beabsichtigt habe. Wenn ich einen Roman geschrieben habe, ist das in meinem Kämmerlein zunächst die eindimensionale Geschichte, die ich erzählen wollte. Habe ich aber drei Leser, so liest jeder die Geschichte anders - der Roman gewinnt drei Ebenen dazu. Für diese drei Leser schreibe ich. Und ich halte durch, weil ich fest daran glaube, dass da draußen mindestens drei Menschen sind, die das können. Es ist, als würde eine Geschichte Junge bekommen...

Ich denke, dieser feste Glaube daran, dass da draußen irgendwer auf meine Bücher wartet, sie vielleicht sogar wünscht oder sich daran reibt, ist einer der wichtigsten Faktoren, der einen Autor von egozentrischer Selbstbespiegelung abhält. Es ist wie in der Kunst allgemein - etwas ist erst dann Kunst, wenn es Wirkung entfalten kann - bei anderen Menschen. Erst wenn ich beim Schreiben an meine Leser denke, öffnet sich mein Text. Die Leidenschaft des einsamen Schaffensprozesses ist schön und beglückend (und allzu oft ist es auch einfach nur harte Maloche wie in jedem anderen Beruf auch). Aber eines ist mir persönlich beim Schreiben noch wichtiger: Der Akt des Verschenkens, des Verströmens.

Man kann nicht ins Leere verschenken. Man muss sich sicher sein, dass jemand die Hand aufhalten wird. Und manchmal begegnet einem dann diese ganz besondere Magie - dass einem ein Leser auch etwas schenkt. Dieses Geschenk bekommen wir Autoren nur im Direktkontakt mit und da auch nicht immer. Aber unsere Bücher bekommen es mit! Vielleicht mag ich deshalb so gern Bücher, die "gelebt" aussehen, mit Kaffee- oder Schokoladenflecken, mit Eselsohren, Notizen... da sieht man förmlich, dass einer das Geschenk auch wirklich in die Hand genommen hat.

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