Ausgeliefert oder ideenreich?

Wenn man hauptberuflich schreibt, bekommt man oft von anderen zu hören: "Du musst verrückt sein." Recht haben solche Leute. Ich glaube wirklich, dass man eine etwas lockere Schraube braucht, um auszuhalten, was man sich mit solch einem Beruf antut. Man könnte eigentlich auch regelmäßig Lohn beziehen, um vier Uhr Feierabend machen und surfen gehen.

Dabei sieht meine Berufslaufbahn noch goldig aus. Für die Berufsausbildung zur Journalistin kassierte ich gar nicht so viele Absagen. Nur die eine, von der Zeitung, zu der ich wollte - die habe ich nicht akzeptiert und mich nach einem Vierteljahr noch einmal beworben. Diesmal mit einer selbstgemachten Zeitung. Kam heraus, dass die erste, unbeantwortete, auf dem Schreibtisch eines inzwischen gekündigten Kollegen gelandet war. Alkoholiker, wütend. Der schloss alles weg und versenkte die Schlüssel womöglich irgendwo. Sie fanden meine Bewerbung mit Haufen von anderen, als sie die Schränke aufbrachen. Meine zweite Bewerbung passte zum Glück nicht in die Ablage...

Von der Idee bis zum Erscheinen des Erstlings dauert es im Schnitt 15 Jahre, sagte mir später eine Lektorin. Ich war enorm viel schneller und schaffte es in acht Jahren. Aber auch da nur mit der berühmten lockeren Schraube. Mein Wunschverlag hatte abgelehnt. Drei Monate Schrauben drehen - dann bewarb ich mich wieder. Keine Antwort, wie so üblich. Ich musste verrückt gewesen sein und sendete mein MS zum dritten Mal ein (normalerweise der Tod in dem Geschäft!) Wieder nichts. Und dann, als ich längst in Polen lebte und drei Tage nach Hause geflogen war, ein abendlicher Anruf einer beeindruckten Lektorin, die sich entschuldigte, dass mein MS einen Postirrweg genommen hatte und in einer falschen Stadt gelandet war. Die erste Absage erinnerte mich an das Volontariat. Auch in diesem Verlag fand man Haufen unbearbeiteter Manuskripte im Schrank eines untragbaren und gekündigten Lektors. Der Mann hatte einen Tick. Er versteckte Manuskripte von Newcomern ohne Veröffentlichung auf Nimmerwiedersehen.

Ich mache es kurz. Mein erstes Buch erschien 1998. Seither habe ich alle Katastrophen erlebt, die man sich zum Glück nicht selbst ausdenken kann, wenn man diese Schraube locker hat. Verlage sind verkauft worden, in Konkurs gegangen, haben fusioniert. Mal hat man mich mit verkauft, mal ein Buch ohne jedes Engagement auf den Markt geschmissen, wie man das mit Schweinefutter in den Trog macht: Fresst oder lasst liegen. Aber immer gab es zwischendurch eben auch das, was man unter echter Verlagsarbeit versteht - und Leser. Das schmiert die lockere Schraube, damit sie sich weiter dreht. Muss sie, denn das Geschäft wird ebenfalls immer verrückter.

Da erzählt ein richtig prominenter Kollege, dass er noch nie eine ernsthafte Rezension bekommen habe. Nur einmal konnten sie ihn in der Zeitung nicht mehr übersehen, nämlich als er richtig bekannt wurde. Eine Bestsellerautorin hätte dieses Schweigen im Feuilletonwald vielleicht gern gehabt. Auch sie hat man geflissentlich übersehen. Aber dann, als der große Erfolg da war - da gab's Häme in Druckbuchstaben. Es gibt Kollegen, die haben Karrierelöcher, weil nach einem Verlagsuntergang zu viele Kollegen gleichzeitig wohlfeil zu haben sind. Und wer von den langjährigen Profis kennt nicht diese niedliche alltägliche Idiotie bei den Absagen: "Sie schreiben für unser Programm zu männlich. Mehr Emotionen bitte!" (Verlag 1) "Sie schreiben doch viel zu weiblich. Das ist uns zu emotional." (Verlag 2, beide Beispiele natürlich fiktiv).

Bücher sind in der liberalisierten Marktwirtschaft zum Profitcenter verkommen. Was beim Erstabverkauf nicht läuft, läuft wahrscheinlich nie mehr. In den Entscheidungskonferenzen großer Verlage sitzen inzwischen mehr Marketing- und Vertriebsfachleute als Buchmacher. Unternehmensberatungen sorgen für mehr Profit, setzen per Outsourcing Lektoren auf die Straße, bauen einst selbstverständliche Verlagsleistungen ab. Es rechnet sich. Und weil sich ein Buch, das kein Bestseller wurde, im Schnitt nach drei Monaten nicht mehr rechnet, wird immer schneller verramscht. Davon lebt eine weitere Branche, die sich freuen kann, sich nicht wie die übrigen Buchhändler an Buchpreisbindung halten zu müssen. Und weil sich das so schön lohnt, dreht das Karussell noch schneller.

Wenn der Autor nicht aufpasst, wird es schnell unübersichtlich. Dann dreht ihm irgendwer diese hüpfende Schraube so richtig fest und macht ein Zahnrädchen aus ihm. Auch Autoren sind Profitcenter. Was, du hast noch keinen Fernsehauftritt? Und hinter den Kulissen vertickert man sich Adressen von Profifotografen, die einen schön und erfolgreich strahlen lassen. Nur am Schreibtisch darf der Autor seine Stirn runzeln: "Schreib ich für den Markt und für welchen? Und wo ist er, was will er von mir? Und wo sind die Ideen?"

Es gibt sie noch, die Ideen. Wie immer zu spät (aber die Sendung wird sicher wieder laufen und vielleicht gibt es sie bei ARTE zum Kaufen?) habe ich gestern Menschen mit herrlich lockeren Schrauben gesehen. In Hermann Vaskes beeindruckender und herrlich humorvoller Wissenschaftsdoku "Die Invasion der Ideen". Da wurden Kreative aller Sparten gefragt, was Ideen seien, woher sie kämen - und wie man sie erfolgreich killt.

Ausgerechnet ein Verleger, Dr. Michael Naumann, sagte, 99% aller kreativen Ideen stürben an der Wirklichkeit. Einer Wirklichkeit, die auch für Autoren bedeutet: Du gibst deine Idee ab. Manager, Marketingleute und die Profitspanne entscheiden zunehmend darüber, was an Kreativität in die Wirklichkeit geboren wird und wie. Das muss nicht immer schlecht sein - aber es ist ein Filter. Ein Filter, der häufiger am Geld hängt als am wirklich ernst genommenen Kunden.

Die kreativen Berühmtheiten in der Wissenschaftsdoku hatten herrlich klare Worte dafür, wie sie sich ihre lockere Schraube bewahrt haben. Das Verkaufen der Ideen sei wie durch Minenfelder laufen, fand eine Kommunikationsexpertin. Der Regisseur James Mangold riet dazu, Ideen reifen und stärken zu lassen, bevor man sie preisgibt. Sein Kollege Terry Gilliam findet die Leute, die das Geld verwalten am gefährlichsten, weil sie nur beschränkt darauf achteten, eben noch mehr Geld zu machen. Andere gaben sich trotzig: "Es ist meins und das darf niemand versauen." Aus der Werbebranche kam schließlich der Rat, unbedingt das Wort NEIN zu erlernen. Auch einmal aussprechen zu können: Sie sind ein lausiger Auftraggeber - ich muss Ihnen meine Idee nicht verkaufen. (Weitere Zitate aus der Sendung hier).

Interessant war, dass die meisten Kreativen ihren steinigen Weg deshalb geschafft hatten, weil sie stets selbst Entscheidungen über sich und ihr Projekt getroffen haben. Sie haben sich nicht ausgeliefert, obwohl auch sie verkaufen mussten und Geld brauchten. Sie suchten sich aus, mit wem sie arbeiten wollten, sie gaben ihre Idee nicht leichtfertig jedem. Und sie sagten im entscheidenden Augenblick Nein. Oft genug am Rand der Selbstausbeutung, entwickelten sie ein sicheres Gespür dafür, was ihre Arbeit wert war, was sie konnten.

Einige Künstler gingen ihren Ideen zuliebe krumme Wege. Ein Musiker erzählte davon, wie es ist, ohne Zwischenhändler Ideen mit Kollegen zu teilen und ans Publikum zu verteilen. Ein Creative Director gab Kunden zu hören, was sie wollen und lachte sich eins. Der Autor der Sendung plädierte für Unvernunft. Ein Regisseur fand, man solle auf keinen Fall mit dem Kopf anderer denken, schon gar nicht dem der Finanziers. Und der Musiker Marilyn Manson sagte: "Ich lasse nicht zu, dass jemand meine Ideen tötet."

Eine sehr reale, sehr reiche Doku - hilfreich für jeden Kreativen, nachdenklich stimmend in einer Kunstwelt des Konsums. Und sie ließ den Verdacht aufkeimen, dass vielleicht die Verlagswelt demnächst ähnlich umlernen werden muss wie die Film- und Musikbranche. Es wird weiter Autoren geben, die jenen Märkten entgegenschreiben. Aber es gibt da diese lockere Schraube, die sich nur schwer festdrehen lässt. Die dreht und dreht...

Und für die gibt's heute abend, 21 Uhr, auf ARTE den Kultfilm von Terry Gilliam: Brazil. (Übrigens auch ein Monument des Neinsagens: Gilliam hat seine Fassung gegenüber den Universal Studios durchgesetzt). Immer wenn mir einer an meiner Schraube drehen will, singe ich leise die Titelmelodie...

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