Hund beißt Schwanz

Wenn sich ein Hund ständig selbst in den Schwanz beißt und wie irre um die eigene Achse dreht, ist das kein Teufelskreis, sondern ein Grund, schleunigst den Tierarzt aufzusuchen. Wenn ein Autor seine Ideen ständig auf angebliche Marketingkonzepte und Zielgruppenvorstellungen zurechtbeißt und sich irgendwann hilflos in die Spirale des Trendwahns hineindreht, ist das kein Grund, zum Tierarzt zu gehen. Denn nicht einmal der kann in solchen Fällen noch helfen.

Wer sich im Internet auf Autorenseiten oder in Schreibforen und -gruppen herumtreibt, wird auch dort den Trend unserer Casting-Gesellschaft wiedererkennen. Der Nachwuchs will möglichst bequem, schnell und nachhaltig berühmt werden. Und darum fragt man allüberall nach den idealen Bausteinen für Romane, dem besten Bücher-Backpulver fürs Aufgehen zum Bestseller. Am schönsten wäre das Ding, das Ratgeberautoren schon ungeliebten Söhnen, geschiedenen Müttern und trauernden Schildkrötenbesitzern seit Jahrzehnten umsonst verkaufen wollen: die Glücksformel. Was muss ich schreiben, damit mein Buch Erfolg hat?

Nicht dass "alte Hasen" wie ich anfangs nicht ähnliche Träume gehegt haben. Vielleicht mit einem kleinen Unterschied: Ich habe mir noch den Spaß und die Lust gegönnt, nicht von Anfang an perfekt zu sein und Blödsinn zu machen. Auch in meiner Schublade liegt eine wunderbar nette Absage des Bertelsmann Verlags, weil ich als Frischling glaubte, man müsse sich mit dem ersten unförmigen Machwerk beim Größten bewerben. Und natürlich habe auch ich früher Fantasy geschrieben (für die Schublade) und mich mit einem fast 700 Seiten starken, grausam geschriebenen Sachbuch beworben (das dann zu einem unter 200 Seiten starken veröffentlichten Erstling wurde). Welches Vergnügen wäre mir entgangen, welcher Lernstoff, wenn ich brav auf Ratgeber gehört und mich ordentlich benommen hätte!

Es macht mich deshalb traurig, wenn der Nachwuchs - und selbst einige "gestandene" Autoren - heutzutage oft nur noch fragen: Was muss mein Buch haben, damit es sich gut verkauft (und auf die Kassenstapel zu liegen kommt)? Buch folgt Marketing.

Nun ist der Buchmarkt gerade im Bereich des Massenfutters natürlich schon so verrückt, dass man damit vortrefflich durchkommen kann. Früher hat man Fanclubs belächelt, die im Stil ihres verehrten Autors schrieben. Man hat ihnen zugestanden, was solches Schreiben bringt: Es ist eine wunderbare Schule, wenn man sich auch wieder befreien kann - zum Eigenen. Aber kein Grund zum Abdrucken. Heute lacht der Controller und man veröffentlicht solchen mehrfach breitgetretenen Epigonenquark. Aber mal ehrlich - wer will schon als ranzige Quarktasche enden?

Wie wäre es eigentlich andersherum? Marketing folgt Buch?

Denkt man hier weiter, erkennt man schnell, warum bei der Massenproduktion Probleme auftauchen. "Buch folgt Marketing" ist nämlich billiger und spart Zeit und Fachpersonal. Einmal ein Marketingkonzept erarbeitet, schon kann man sich in der riesigen Fülle der Epigonen bedienen gehen. Man giert nach austauschbaren, stromlinienförmigen und passend zurechtzuschnippelnden Autoren. Die Marke ist das Produkt, nicht mehr der Autor. Wer hat noch gleich diesen dritten Vampirroman von links geschrieben? Nein, nicht die ganz Erfolgreiche, wie hieß sie doch gleich, die mit dem deutschen Namen und dem vielen Blut...
Haste den Pilcherfilm gestern gesehen? Was, war nicht Pilcher? Sah aber aus wie Pilcher oder wie die andere, die Pilcher nachmacht. Ach, sind jetzt schon drei, nein vier? Issjaegal, ich guck eben Pilcher, egal, was drin ist.

Führt dieser Weg wirklich geradlinig zum Erfolg? Erfolg kann man nicht planen. Was man mit diesem Weg plant, ist ein schnelles Geld für den Anfang und die perfekte Austauschbarkeit. Ich könnte spontan eine Handvoll KollegInnen aufzählen, die sich so selbst überflüssig geschrieben haben und vorher mit lächerlichen Honoraren und ungeheurem Arbeitsdruck zu kämpfen hatten. Das ist wie beim Kassenjob im Billigdiscounter: Wenn einer meutert, stehen tausend andere Arbeitswillige parat, die den Mund halten. Man wird auspressbar. Und dann sind da noch diejenigen, die sich auf diese Art zwar nie einen Namen gemacht haben, aber als Auftragschreiber ein feines Auskommen aufbauten - und nie mehr zum Eigenen kamen.

Es gibt aber den Weg "Marketing folgt Buch". Dazu braucht es natürlich einen willigen Verlag, denn einzigartige Bücher verlangen einzigartige Marketingkonzepte. Da aber Autoren auch in Publikumsverlagen zunehmend ihre eigene Presse- und Werbearbeit übernehmen müssen, sollte das doch zu schaffen sein? Die PR-Frau in mir behauptet: Ich kann ein und dasselbe Machwerk völlig unterschiedlich verkaufen - ergo schreiben, was mir am Herzen liegt. Ich muss mir nur sehr viel Gedanken machen, wem ich es verkaufen will und könnte. Und dabei lassen wir die Anfängerfehler beiseite, mit einem Sachbuch über Aquarien zum Literaturverlag zu gehen...
Aber ich muss einzigartig sein. Unverwechselbar. Eben nicht nach Schablonen und Rastern suchen.

Schriftsteller, die Trends schaffen oder unvermutete Bestseller landen, sind immer einzigartig. Einen John Irving wird man vielleicht teilweise nachahmen können, aber nie ersetzen. Eine "Wanderhure" wird man vielleicht nachzuahmen versuchen, aber das Original ist und bleibt der Begründer eines Trends, alles andere Nachfolger. Ein Sachbuch wie "Irre" ist Bestseller, weil der Autor ein fast vergessenes Tabuthema aufgreift und in abwegig klingender Kombination präsentiert, nämlich mit Humor. "Biss" beißt Teenies, weil es weniger mit altrumänischen Traditionen zu tun hat als mit Teenie-Befindlichkeiten - und weil solche Pubertätsdramen zuvor nicht da waren.

"Was muss ich schreiben, damit mein Buch Erfolg hat?" ist die falsche Frage.
Wie wäre es stattdessen mit anderen Fragen? Etwa:
"Habe ich etwas zu sagen?"
"Was ist an meiner Idee besonders, anders, einzigartig?"
"Was muss ich schreiben, damit meine Idee lebendig wird und die ihr eigene Idealform bekommt?"

Alles andere ist Marketing und das kann der Idee folgen, nicht umgekehrt. Marketing ist variabel. Man kann damit abstruse Themen wie "Schwarze Madonnen" zum Standardwerk mit Vatikansempfehlung befördern. Man kann Regionalia wie den "Odilienberg" ins Fernsehen bringen und Antiquare zwölf Jahre nach Erscheinen zu Höchstpreisen. Man kann damit einen Roman über eine Krisenzeit als heiteren "Lavendelblues" verpacken. Und man kann dann auch das 1000ste Elsassbuch an den Mann bringen, das 10.000ste Rosenbuch - vorausgesetzt, die sind nicht nach Schablone geschrieben, sondern einzigartig.

Keines dieser Bücher wäre je entstanden, wenn ich mich nicht zuallererst gefragt hätte: "Habe ich meinen Leserinnen und Lesern etwas zu sagen?"

Für Inspiration danke ich Christa S. Lotz, die eine Diskussion über Longseller und Einzigartigkeit angestoßen hat (in Marketingsprech übrigens USP, unique selling point) und Thomas Roeder, der mich zum hündischen Einstieg inspiriert hat.

4 Kommentare:

  1. Liebe Petra!
    Wunderbar, hier sprichst du mir wirklich aus dem Herzen! Mir kommt es sogar oft so vor, als sei der Wunsch, schnell "berühmt" zu werden noch größer als der Wunsch, überhaupt zu schreiben. Es wird von vielen "jungen" Kollegen nicht mehr geschrieben, weil sie etwas zu sagen haben, sondern weil sie teilhaben wollen an einem vermeintlichen Kuchen und das eben nach Möglichkeit mit dem von dir erwähnten "Backrezept". Da werden in Foren zukünftige Tantiemen und Rechte für Hörspielversionen heiß diskutiert für Werke, von denen noch nicht mal der erste Satz existiert. Da werden ganze Konzepte über Nacht in die Tonne getreten, weil doch eine Kollegin jetzt mit einem zweisprachigen Fantasyroman unterkommen konnte. Plötzlich wollen alle nur noch zweisprachige Fantasy schreiben. Gefördert wird das sicher nicht zuletzt auch von Agenturen, die mir ebenfalls oft nicht bereit erscheinen, sich für neue Ideen bei den Verlagen einzusetzen. Es ist so viel leichter, dem Verlag die Suppe zu verkaufen, die er ohnehin schon die ganze Zeit kocht. Ich wünsche mir wirklich mehr Mut unter den Autoren. Mut dazu, auch mal wieder eigene Wege zu gehen und eigene (Schreib)ideen zuzulassen.
    Denn wie heißt es so schön:
    Nur wer eigene Wege geht, hinterlässt Spuren.

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  2. Liebe Jutta,
    dein Spruch in der Lektoren Ohr ;-)

    Du beschreibst das ähnlich erschreckend wie ich es manchmal mitbekomme... Woran liegt's?
    Dass man Tantiemen und Vertragskram diskutiert, wenn es um konkrete Aufträge geht, finde ich ja gut. Ich sehe bei meinem Team, wie hilfreich es ist, wenn man sich offen über Honorare austauschen kann, um herauszufinden, wo Dumping anfängt oder man sich über den Tisch ziehen lassen würde. Aber alles andere nannte meine Großmutter immer "Milchmädchenrechnung".

    Das schnelle Geld, der schnelle Erfolg - wir werfen diese Gier den Bankern vor. Sind wir besser? Ist Schriftstellerei wirklich nur noch Warenproduktion?

    Ich finde es immer hilfreich, einen Schritt zurückzutreten und sich zu fragen: Was tue ich da eigentlich?

    Ich lerne immer gern von Künstlern (aller Art), die sich trotz aller Widerstände und Kollegenlache und Branchenlache trotzdem geschafft haben, mit etwas ach so Unverkäuflichem, Schrägem irgendwann Erfolg hatten - und sei es posthum. Das sind spannende Leben! Dieses Scheitern und kraftvolle Aufstehen, immer wieder Beharren und Weitermachen. Da folgt Marketing der Kunst, nicht umgekehrt.

    Würde ich Schreibkurse geben, würde ich wohl zu lehren versuchen, das kleine grüne Gummischweinchen morgens im Spiegel auszuhalten. Würde ich PR-Kurse geben, müssten die Autoren rosa Klopapier an Lektoren verkaufen oder kleine grüne Gummischweinchen und die Lektoren müssten das hochriskante Gummischweinchen in der Programmkonferenz verteidigen. ;-)
    Tja, so komme ich nie auf einen grünen Zweig, Schreibkurse mit Patentrezepten sind gefragt, PR aus dem Baukasten...

    Auf der anderen Seite - es muss auch die Suppe geben, damit die Buchstabennudeln schmecken.

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  3. Ich versuche es derzeit mit einem zweigeteilten Arbeitstag. Am Vormittag koche ich Suppe für die Suppenküche. Damit unterstütze ich meine Großfamilie.

    Am Abend widme ich mich dann meinen höchstpersönlichen Kochexperimenten und versuche mich frei zu machen von Rezeptzwängen und Verkaufsargumenten. Jetzt muss ich nur noch lernen, auch mein "Selbstgekochtes" an den Mann bzw. meistens die Frau zu bringen.

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  4. Ich beneide dich um deine disziplinierte Arbeitseinteilung! Seit ich zwei Brotjobs zum Überleben brauche, komme ich dank der Deadlines, die IMMER auf einmal drohen, im Moment nur noch selten zum Bücherschreiben. Ich träume von einem einzigen, ordentlich bezahlten Job, wie das früher mal möglich war.

    Ich weiß nicht, ob man verkaufen lernen kann? Ich denke, da gehören auch eine Menge Glück dazu - und vor allem Kontakte, persönliche Empfehlungen. Das kann einem eine Agentur abnehmen, wenn sie sich denn engagieren mag...
    Irgendwann kommt das auch wieder auf mich zu, falls mein blaues Gummischweinchen mal fertig wird ;-)

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